Federdieb steht vor Gericht

Von Briefmarken bis zu Autogrammen: Sammeln ist menschlich und vielfältig. Ein Schweizer wurde dabei aber kriminell. Er sammelte Federn und stahl rund 160 von ihnen aus Museen. Nun steht der Mann in Basel vor Gericht.

Natürlich sah der Federdieb nicht wie ein verschrobener Kauz aus, als er bei Marcel Güntert auf der Matte stand. Der langjährige Direktor des Naturhistorischen Museums in Bern sah einen Experten vor sich, als der Mann Anfang der 2000er Jahre auftauchte. „Er hatte Interesse an Greifvögeln, er wollte Gefiedervariationen dokumentieren“, erzählt Güntert bei einem Besuch „am Tatort“.

“Unbeaufsichtigt alle Hemmungen verloren“

In der kühlen unterirdischen Kammer des Museums stehen imposante Vögel wie Papageien, Adler und Geier, lebensecht präpariert. In den Schubladen liegen die Vogelbälge, Tausende Vogelhäute mit Gefieder, Schnabel und Füßen. Da hat der Federdieb zugeschlagen.

Nach kurzem Suchen findet Güntert das Corpus Delicti. „accipiter cirrocephalus“ steht an dem toten Vogel, „Australien, Juli 1954“. Dem Sydneysperber, einer Greifvogelart aus der Familie der Habichtartigen fehlt der linke Flügel. Der Federdieb hat 20 weitere Präparate beschädigt.

„Anfangs haben wir ihm die gewünschten Präparate noch hoch gebracht in ein Sitzungszimmer, aber nach ein paar Besuchen hat man ihm vertraut. Er durfte hier herunterkommen, unbeaufsichtigt“, so Güntert. „Hier hat er alle Hemmungen verloren.“

Auch im Wiener NHM zugeschlagen

Der Federdieb steht ab Dienstag in Basel vor Gericht. Über Jahre, womöglich Jahrzehnte, hat der heute 45-jährige Museen in der Schweiz, Österreich und in Deutschland heimgesucht. Basel, Bern, Stuttgart, Frankfurt, Wien (Naturhistorisches Museum), München und Berlin sind betroffen. Das Gericht schätzt den Schaden auf sechs Millionen Franken (5,5 Mio. Euro).

„Eigentlich ist er aber unermesslich“, sagt der Erfurter Biologe Stefan Hertwig, Mitglied der Museumsleitung in Bern. „Alle Vögel sind Unikate, und die große Frage ist, ob die Federn, die der Mann geklaut hat, den einzelnen Museen überhaupt wieder zugeordnet werden können.“

Ein Greifvogel

APA/dpa/Patrick Pleul

Mehr als 17.000 Federn entdeckten Ermittler 2012 in der Sammlung des Mannes. Ein Berliner Museum war ihm auf die Schliche gekommen und hatte Alarm geschlagen. Mit Schrecken entdeckten viele Museen den Namen des Mannes auf ihren Besucherlisten. So kam das Ausmaß der Beschädigungen erst ans Licht.

Mehr als 160 Federn und Flügel soll er aus Museen gestohlen haben. Verhandelt wird über Diebstähle zwischen 2005 und 2012. In Bern war er aber schon deutlich früher am Werk. Der Diebstahl war verjährt, als er ans Licht kam, sagt Hertwig.

Krümel hätten ihn schon früher überführen können

„Ich hätte einmal Verdacht schöpfen müssen“, sagt Güntert, inzwischen pensioniert, heute. Nach einem Besuch des Federdiebs saß er zufällig später mit Kollegen im selben Raum, in dem der Mann sich Präparate angeschaut hatte.

„Ich sah ein paar Krümel auf dem Boden, winzig, das waren Federkrümel. Ich dachte damals, da muss ein Präparat wohl brüchig gewesen sein - heute weiß ich, dass waren Schnittreste.“ Die Bälge werden nie mit aufgespreiztem Gefieder aufbewahrt, sondern platzsparend. So ist das Fehlen von Federn nicht gleich zu sehen.

„Museen sind durch den Fall sensibilisiert“, sagt Hertwig. „Heute würde man genauer hinschauen.“ Federn oder Flügel zu klauen sei wie Seiten aus wertvollen Bibliotheksbüchern zu reißen. „Diese Sammlungen sind wie ein Archiv des Lebens“, sagt Hertwig. Unschätzbar wertvoll.

Kaum wiedergutzumachen

Museen müssten immer mit Diebstahl und Beschädigungen rechnen, denn heute werde vieles offener und nicht hinter Glas präsentiert, sagt Ueli Rehsteiner, Direktor des Naturmuseums in Chur in Graubünden: „Bei unseren Schneehasen sind in sieben Jahren dreimal die Ohren abgebrochen worden.“ Dass sich jemand mit Diebstahlabsicht Zugang zu Sammlungen verschaffe, sei aber äußerst selten.

„Ein krasser Fall“, so Rehsteiner, dessen Haus vom Federdieb verschont wurde. Einen Schaden zu bestimmen sei fast unmöglich. „Das ist so, wie wenn ein Picasso verbrennt, den bringt auch noch so viel Geld nicht zurück.“

Christiane Oelrich, dpa

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