„Inhalte umschreiben ist inakzeptabel“

Der aktuelle Fall der Kindergartenstudie zeigt: Die Politik geht sehr strategisch mit wissenschaftlichen Ergebnissen um. „Inhalte einer Studie umzuschreiben, ohne dass die Autoren zustimmen, ist aber nicht akzeptabel“, sagt der Experte Lars Brozus.

Lars Brozus ist Politikwissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und beschäftigt sich mit dem Thema aus Sicht der Politikberatung. „Wissenschaftliche Erkenntnisse werden von der Politik sehr selektiv und strategisch genutzt“, sagt er gegenüber science.ORF.at. „Das heißt, jene, die in das eigene politische Konzept passen, werden angenommen. Jene, die widersprechen, werden missachtet. Das ist die Regel.“

Änderungen wieder rückgängig machen

Den aktuellen Fall in Österreich - Beamte des Integrationsministeriums dürften die Kindergartenstudie des Islamforschers Ednan Aslan umgeschrieben haben - kennt Brozus nicht. Etwas Vergleichbares im deutschsprachigen Raum ebenfalls nicht. Generell aber gelte: „Wenn Inhalte einer Studie ohne Autorisierung durch die Verfasser umgeschrieben werden, ist das aus wissenschaftlicher Sicht nicht akzeptabel.“

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 6.7., 13:55 Uhr.

Ein Lektorat, das die Lesbarkeit eines Textes erhöht, sei sehr sinnvoll. An seiner eigenen Einrichtung, der SWP, gebe es so etwas. „Das ist auch sehr gut so. Die Wissenschaftler müssen aber die Möglichkeit haben, die Änderungen wieder rückgängig zu machen. Nämlich dann, wenn sie der Meinung sind, dass sie den Sinn und wissenschaftlichen Gehalt verändern.“

Wenn alles so stattgefunden hat, wie im „Falter“-Artikel beschrieben, dann sieht Brozus drei Möglichkeiten: „Entweder schlechte Kommunikation zwischen den Beamten und den Forschern, Sorglosigkeit oder - im schlimmsten Fall - politische Manipulation.“

Kein Recht auf Veröffentlichung

Wie oft Fälle wie diese vorkommen, sei empirisch schwer zu untersuchen. „Zwar lässt sich recherchieren, wie viele Studien Ministerien in Auftrag geben“, sagt Brozus. Aber schon die Definition von „politischem Einfluss“ sei umstritten. Eine Variante, um diesen auszuüben, sei es, unliebsame Resultate erst gar nicht zu veröffentlichen. „Mit der Beauftragung einer Studie geht nicht automatisch das Recht einher, dass sie auch veröffentlicht wird“, sagt der Experte.

Einen ähnlichen, aber anders gelagerten Fall gab es im Vorjahr in Deutschland. Das Arbeitsministerium hatte damals unbequeme Passagen einer Studie des Politikwissenschaftlers Armin Schäfer in ihrem Armutsbericht gestrichen, wie etwa die „Zeit“ (Onlineausgabe) berichtete. Im Unterschied zur Kindergartenstudie in Österreich wurde die unveränderte Originalstudie aber ebenfalls veröffentlicht.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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