„Forschungsgerichtshof“ für Streitfälle

Im Sport gibt es einen internationalen Schiedsgerichtshof, bei dem Dopingfälle und Disziplinarverfahren landen. Ein Experte schlägt einen solchen nun auch für die Forschung vor. Hier könnten Fälle wie die umstrittene Islamkindergarten-Studie behandelt werden.

Normalerweise werden Promotionsskandale oder umstrittene Forschungen an der jeweiligen Forschungseinrichtung geprüft - so wie das nun die Uni Wien im Fall der Kindergarten-Studie macht.

Zur Person

Jonathan Jeschke ist seit 2014 Ökologe an der Freien Universität Berlin sowie am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Im August wird er bei den Technologiegesprächen in Alpbach zu Gast sein.

„Das schafft aber eine gewisse Unsicherheit im Verfahren“, meint Jonathan Jeschke, Biodiversitätsforscher an der Freien Universität Berlin sowie am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. „Ein internationales Schiedsgericht könnte hier viel besser Klarheit schaffen und eine Diskussion anregen, unter welchen Umständen etwa Veränderungen an Studien unzulässig sind.“

Jeschke kennt zwar den konkreten Fall der Kindergarten-Studie nicht. Wohl aber das Problem, dass Studien zum Teil unzulässig auffrisiert werden. Darüber hinaus sind manche Forschungen nicht mehr reproduzierbar, wie in Wissenschaftskreisen immer wieder kritisiert wird.

Komplizierte Fachsprache führt zu Missverständnissen

Es kommt aber auch vor, dass die Wissenschaftssprache zu Missverständnissen führt, wie Jeschke aus seinem eigenen Forschungsbereich zu invasiven Tier- und Pflanzenarten weiß. Denn was eine invasive Art ist, wird unterschiedlich definiert.

„Als Ökologe beschreibe ich hier lediglich Arten, die nicht heimisch sind und sich in einem Gebiet ausgebreitet haben.“ Die Allgemeinheit geht bei einer invasiven Art allerdings tendenziell davon aus, dass diese sich negativ auf heimische Tiere und Pflanzen bzw. die Biodiversität auswirken. „Das ist mit der Definition aus wissenschaftlicher Sicht jedoch nicht zwingend gemeint.“ Auf diese Weise driften wissenschaftliche Erkenntnis und kollektives Verständnis auseinander, wodurch der Erkenntnisgewinn verschleiert wird, meint Jeschke.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 11.7., 13:55 Uhr.

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Für solche Fälle verwendet der Wissenschaftler einen eigenen Begriff: „Dark Knowledge“. Er soll die Diskrepanz zwischen dem, was die Gesellschaft aufgrund von Daten und Informationen wissen könnte, und dem, was sie tatsächlich weiß, beschreiben. So werden zwar jährlich rund 2,5 Millionen wissenschaftliche Artikel veröffentlicht, das Allgemeinwissen der meisten Menschen nimmt ihm zufolge aber kaum zu. „Was Menschen wissen, ist natürlich schwer zu quantifizieren, aber einige Studien legen diese Entwicklung nahe.“ Die Folgen von „Dark Knowledge“ sind etwa politische Entscheidungen, die nicht auf Fakten fußen, oder einfach „Fake News“.

Falsche Hypothesen, die nicht totzukriegen sind

Auch Fehlinterpretationen von Daten und Forschungsergebnissen können den Erkenntnisgewinn über Jahrzehnte trüben, wie etwa die sogenannte Zehnerregel deutlich macht - eine These aus der Invasionsbiologie. Sie besagt, dass sich von 100 eingeführten Arten, zehn etablieren. Invasiv werden letztlich aber nur zehn Prozent von den etablierten Arten. „Das heißt, eine von 100 eingeschleppten Arten wird nach der Zehnerregel invasiv.“

Technologiegespräche Alpbach

Von 24. bis 26. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet „Konflikt & Kooperation“. Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei den Technologiegesprächen vortragen oder moderieren.

Jeschke hat diese Hypothese aus den 1980er Jahren mehrmals überprüft und weiß, dass sie nicht stimmt. Vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher, dass sich eingeschleppte Säugetiere, Vögel und Pflanzen verbreiten. Dennoch findet man die Zehnerregel in Naturhistorischen Museen, und sie wird nach wie vor für die Risikoabschätzung von genetisch veränderten Organismen und gebietsfremden Arten herangezogen, erzählt Jeschke.

Um diese und andere Erkenntnisse aus der Invasionsbiologie transparent zu machen, entwickelt Jeschke mit Kollegen eine Art Online-Landkarte, auf der sämtliche Hypothesen gezeigt werden. Mit Ampelfarben signalisiert das Hypothesen-Netzwerk, welche Thesen aus der Invasionsbiologie stimmen und welche nicht. „Die Zehnerregel ist in dem Fall rot. Man kann dann reinzoomen und sieht, welche Studien und Daten diese These im Detail stützen und welche nicht.“

Nächstes Jahr soll das Hypothesen-Netzwerk online gehen. Es soll Vorbild sein für weitere Forschungsbereiche, um mehr Licht auf etwaiges „Dunkles Wissen“ zu werfen.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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