Leitlinien: Kritik an Einfluss von Pharmafirmen

Ärzte und Ärztinnen richten ihre Behandlungen nach Leitlinien. Dass diese nur auf überprüfbaren Fakten beruhen und nicht von Pharmafirmen beeinflusst werden, ist deshalb besonders wichtig. Dabei mangelt es aber an Konsequenz, wie nun eine Expertin kritisiert.

Leitlinien geben Behandlungen vor, empfehlen Wirkstoffe, leiten den Arzt in seinem Handeln - etwa wenn ein Patient mit Kreuzschmerzen kommt. In Deutschland wurde zu Kreuzschmerzen erst kürzlich von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften eine Leitlinie erarbeitet. In ihr wird genau festgehalten, ab wann Kreuzschmerzen mit welchen Medikamenten behandelt werden sollen.

Kreuzschmerz-Leitlinie steht auf „grün“

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch Wissen Aktuell am 13.7.2017 um 13.33 Uhr.

Diese Leitlinie ist gut gelungen, sagt Gisela Schott, Fachärztin für innere Medizin und in der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft für Transparenzfragen zuständig: „Die Hauptautoren hatten keine Interessenkonflikte in Form von Pharmahonoraren, es wurden systematische Reviews berücksichtigt und der Entwurf einer öffentlichen Konsultation zur Verfügung gestellt.“

Insgesamt hat diese Leitlinie „grün“ bekommen in einem Ampelsystem, das von der Initiative Leitlinienwatch.de entwickelt wurde. Sie wird von Ärzten und Ärztinnen getragen, die auf eine unbeeinflusste Erstellung von medizinischen Leitlinien achten. Ihre Bewertungskriterien sind ebenso online nachvollziehbar wie der Hintergrund der Mitglieder.

Verbindungen zu Pharmaunternehmen

Ein wichtiger Punkt bei der Bewertung ist, ob Autoren einer Leitlinie von Pharmaunternehmen Geld bekommen. Die Cholesterin-Richtlinie der US-amerikanischen Herzgesellschaft stand bei ihrer Veröffentlichung 2013 in den USA unter Verdacht, über diesen Weg beeinflusst worden zu sein. Gisela Schott: „Da ist das Indikationsgebiet für den Einsatz von Statinen, also Cholesterin-Senkern, sehr ausgeweitet worden. Im Endeffekt sollten viel mehr Leute Statine erhalten.“ Analysen hätten gezeigt, dass an dieser Leitlinie zu viele Experten und Expertinnen mit Interessenkonflikten beteiligt waren.

In einer eigenen Studie hat Gisela Schott gezeigt, dass ein Wirkstoff zur Behandlung von Schuppenflechte trotz gleicher wissenschaftlicher Evidenz in zwei Richtlinien unterschiedlich beurteilt wurde - und zwar deutlich günstiger, wenn im Erarbeitungsgremium viele Interessenkonflikte vorhanden waren.

Zu wenig konsequent

Pharmarecherche:

ORF, die Tageszeitung „Der Standard“ und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv.org haben für Österreich offen gelegte Pharmahonorare analysiert und in eine Datenbank eingespeist.

Der erste Schritt ist deshalb, alle Verbindungen transparent zu machen - in Deutschland ist das in Leitliniengremien mittlerweile Pflicht, in den allermeisten Fällen werden die möglichen Konflikte auch veröffentlicht. „Das Problem ist nur, dass viel zu selten Konsequenzen gezogen werden. Dass es immer noch Leitlinien gibt, wo Leute nicht ausgeschlossen werden, wenn sie Interessenkonflikte haben - von einzelnen Abstimmungen oder, wenn starke Interessenkonflikte vorhanden sind, vom ganzen Leitlinienprojekt“, so die Internistin. Das gelte für nationale Leitlinien ebenso wie für europäische. Vor allem die Vorgaben der European Society of Cardiology sind zuletzt in Kritik geraten, weil sie diesen Vorgaben nicht folgen - etwa die zuletzt veröffentlichte Leitlinie zum Vorhofflimmern.

Wie in Deutschland mit Leitlinien und ihrer Transparenz umgegangen wird, ist auch für Österreich relevant. Die Österreichische Gesellschaft für Neurologie bestätigt auf Anfrage von Ö1, dass ihre Leitlinien in einem gemeinsam besetzten Gremium, allerdings unter Federführung von Deutschland erarbeitet werden.

Dass es Raum für Verbesserungen gibt, zeigt die Ampel von Leitlinienwatch.de: Von 150 bisher bewerteten Leitlinien leuchtet bei 50 Prozent das rote Licht, bei 40 Prozent das gelbe - und nur zehn Prozent stehen auf grün, sind also transparent und möglichst ohne äußeren Einfluss erstellt worden.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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