„Brutstätte des Nationalsozialismus“

Die NS-Geschichte Österreichs ist mittlerweile gut erforscht. Dennoch gibt es immer noch Wissenslücken. Eine betrifft den „Deutschen Klub“ in der Wiener Hofburg. Er spielte eine wichtige Rolle für den „Anschluss“ - und ist bisher dennoch nicht auf Wikipedia.

Vermutlich wird sich das ändern, wenn die Historiker Klaus Taschwer, Linda Erker und Andreas Huber mit ihren Forschungsresultaten nun an die Öffentlichkeit gehen. Sie nennen den Klub die „vielleicht wichtigste Brutstätte des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren“.

„Nicht-politischer Verein“ mit vielen Akademikern

Gegründet wurde der Klub noch im kaiserlichen Österreich 1908: als „nicht-politischer Verein zur Pflege des deutschen Volkstums“. Er sollte ursprünglich die Konflikte zwischen den vielen deutschnationalen Burschenschaften ausgleichen, entwickelte sich aber rasch zu einer Eliteeinrichtung, in der sich die rechtsgerichtete Bourgeoisie Wiens traf.

„Es war ein exklusiver Klub aus Bildungsbürgern, Spitzenbeamten, Uniprofessoren, Rechtsanwälten, Adeligen und Industriellen“, so der Historiker Andreas Huber. Der Akademikeranteil lag bei zwei Dritteln, „das waren große Teile der Intelligenz Wiens“, ergänzt Klaus Taschwer. Die Hälfte etwa aller Rektoren der Uni Wien zwischen 1908 und 1938 waren Mitglieder des Klubs. Sein Sitz war ebenfalls elitär: Er befand sich ab 1923 im Leopoldinischen Trakt der Hofburg - dem Sitz heutiger Bundespräsidenten.

Wiener Heldenplatz am 15. März 1938: Eine sudetendeutsche Abordnung grüßt Adolf Hitler, rechts daneben Arthur Seyss-Inquart

AP

Wiener Heldenplatz am 15. März 1938: Sudetendeutsche grüßen Adolf Hitler, daneben Arthur Seyss-Inquart

Vernetzung von Braunen und Schwarzen

Der „nicht-politische Verein“, der ausschließlich aus Männern bestand, war vor und nach dem „Anschluss“ ein Reservoir der Politik: Mindestens zehn Regierungsmitglieder rekrutierten sich bereits in der Ersten Republik aus seinen Reihen.

Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, überwachte die Polizei den Klub, verstärkt nach dem Juli-Putsch gegen Engelbert Dollfuß 1934. Noch am Tag unmittelbar vor dem tödlichen Attentat beschied die Polizei - die kurioserweise genau unterhalb der Klubräume ein Wachzimmer hatte -, dass dem „Klub keinerlei nationalsozialistische Betätigung nachgewiesen werden konnte“, siehe Bild.

Bescheid der Wiener Polizei  - ein Tag vor dem Dollfuß-Attentat

Archiv der Bundespolizeidirektion Wien

Das änderte sich nach dem Anschlag. Mehrere Mitglieder waren direkt an den Attentatsplänen beteiligt. Der Klub wurde geschlossen. Doch nach zehn Wochen durfte er wieder öffnen - trotz konkreter Hochverratsvorwürfe. Wie konnte das geschehen? „Das hat viel damit zu tun, dass die Braunen und Schwarzen in Polizei und Justiz schon damals sehr gut vernetzt waren“, vermutet Taschwer.

Aktiv für den „Anschluss“

Er hält die Rede von den drei großen, unversöhnlichen Lagern der Ersten Republik - Sozialisten, Christlich-Sozialen und Nationalsozialisten - generell für fragwürdig. „Die Übergänge zwischen Deutschnationalen, Katholisch-Nationalen und frühen Nationalsozialisten waren in den 1930er Jahren fließend“, ergänzt seine Kollegin Linda Erker von der Universität Wien.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 21. Juli, 7.00 Uhr.

„Diese These hat schon der US-Historiker Janek Wasserman 2014 in seinem Buch ‚Black Vienna‘ aufgestellt. Unsere Arbeit zum Deutschen Klub bestätigen sie.“ Die in ihm vertretene Wiener Bourgeoisie habe in den gesamten 1930er Jahren aktiv auf den „Anschluss“ und auf eine Diskriminierung von Juden hingearbeitet, sagt die Historikerin. „Und dann auch davon profitiert. In diesem Lichte erscheint die österreichische Opferthese natürlich besonders lächerlich.“

„Unverbrüchliche Treue“ zu Hitler

Mit dem „Anschluss“ am 11. März 1938 war das Hauptziel des Klubs erreicht. Dementsprechend fiel das offizielle Glückwunschtelegramm nach Berlin aus (siehe Bild unten), das Hitler „unverbrüchliche Treue“ schwor.

Faksimile des Glückwunschtelegramms aus den "Mitteilungen des Klubs"

ÖNB, Klaus Taschwer

Faksimile des Glückwunschtelegramms aus den „Mitteilungen des Klubs“

Die Mitglieder des Klubs machten schnell Karriere. Allen voran Arthur Seyß-Inquart, der Kurzzeit-Bundeskanzler und „Reichsstatthalter“. Dazu weitere fünf Minister, der neue Bürgermeister von Wien (Hermann Neubacher), die Direktoren von Burgtheater (Mirko Jelusich), Nationalbibliothek (Paul Heigl) und Tiergarten Schönbrunn (Otto Antonius) sowie der Präsident der Akademie der Wissenschaften (Heinrich Srbik) und fast das gesamte Führungsteam der Universität Wien.

Viele der Klub-Mitglieder spielten auch bei den Arisierungen eine wichtige Rolle und bereicherten sich. Und doch stellte sich nach einiger Zeit bei manchen eine gewisse Ernüchterung ein. „Es ist paradox“, sagt Taschwer, „obwohl sie die ganzen Jahre auf den ‚Anschluss‘ hingearbeitet haben, machten sie sich nun Sorgen um die völlige Auslöschung der österreichischen Kultur.“ So wie alle anderen österreichischen Vereine schlossen die neuen Machthaber auch den Deutschen Klub – sehr zum Unwillen seiner Mitglieder. Hitler persönlich entschied im Februar 1940, dass der Klub geschlossen blieb.

Plötzlich NS-Opfer

Ein Umstand, der nach Kriegsende zur antifaschistischen Tat umgedeutet wurde. „Genauso wie die deutschnationalen Burschenschaften, die ebenfalls Brutstätten des Nationalsozialismus waren, haben die Mitglieder des Deutschen Klubs nach 1945 gesagt: Die Nationalsozialisten haben uns aufgelöst, deshalb sind wir ihre Opfer!“, so Taschwer.

1957 wurde der Nachfolgeverein mit dem Namen „Neuer Klub“ gegründet - von drei in jeder Hinsicht „Ehemaligen“: Sie waren Mitglieder des Deutschen Klubs und belastete Nationalsozialisten. Die Homepage des Neuen Klubs firmiert heute unter jener des Freiheitlichen Akademikerverbands Salzburg.

Bald in Wikipedia?

Warum der Deutsche Klub es noch zu keinem Wikipedia-Eintrag geschafft hat? „Das ist wirklich etwas seltsam“, antwortet Erker. „Aber solche Einträge entstehen ja meist erst, wenn es wissenschaftliche Literatur zu einem Thema gibt. Und die fehlte bis jetzt, was das eigentlich Verwunderliche ist. Das damalige reichsdeutsche Pendant, der Deutsche Herrenklub mit Sitz in Berlin, ist auf Wikipedia übrigens sehr wohl vertreten - dazu gibt es aber auch seit vier Jahrzehnten Forschung“, sagt die Historikerin.

Der Grund, warum das in Österreich bisher nicht der Fall ist, könnte an den starken personellen Kontinuitäten an den heimischen Unis gelegen sein. Da dort viele Mitglieder des Deutschen Klubs vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wichtige Positionen innehatten, gab es nach 45 wenig Anlass, seine Rolle genauer zu untersuchen.

Ein Anfang ist mit der Publikation von Taschwer, Erker und Huber in der Fachzeitschrift „zeitgeschichte“ nun aber gemacht. Eine längere soll in den kommenden Jahren folgen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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