Immer weniger Spermien

Männer in den westlichen Industrienationen produzieren laut einer neuen Studie heute um fast 60 Prozent weniger Spermien als noch vor 40 Jahren. Direkte Rückschlüsse auf die Fruchtbarkeit erlaubt das zwar nicht, Experten schlagen dennoch Alarm.

Geringe Mengen an Spermien hängen nämlich nicht nur mit der Reproduktion, sondern auch mit einer Reihe von Krankheiten zusammen. „Unsere Studie ist ein dringender Weckruf für Forscher und Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt“, sagt deshalb der Studienleiter Hagai Levine von der Hebrew University in Jerusalem.

Da nicht-westliche Männer von dem Phänomen kaum betroffen sind, gelten Umweltgifte sowie Lebensstilfaktoren wie Ernährung und Bewegung als wahrscheinlichste Ursachen für die schrumpfende Spermienzahl.

43.000 Spermaproben ausgewertet

Für ihre Metastudie haben die Forscher um Levine zunächst über 7.500 Studien zur Anzahl von Spermien durchforstet. Den Großteil davon haben sie nicht berücksichtigt, etwa weil darin Daten von Männern enthalten waren, die zeugungsunfähig waren oder chronische Erkrankungen hatten. Am Ende werteten die Wissenschaftler 244 Spermienzählungen aus 185 Studien aus, die an knapp 43.000 Männern durchgeführt worden waren.

Das Ergebnis: Die Spermienanzahl pro Milliliter Sperma von Männern aus Nordamerika, Europa, Australien und Neuseeland ist zwischen 1973 und 2011 um 52,4 Prozent gesunken. Bei der Gesamtzahl der Spermien pro Samenerguss beträgt der Rückgang sogar 59,3 Prozent.

Im Mittel ging die Spermienanzahl pro Milliliter jährlich um 1,4 Prozent zurück, bei der Gesamtzahl pro Spermaprobe sogar um 1,6 Prozent. Diese Zahlen beziehen sich auf die Gruppe derjenigen, bei denen nicht festgestellt wurde, ob sie zeugungsfähig sind. Bei den Männern mit Kindern betrug der jährliche Rückgang bei der Anzahl pro Milliliter und der Gesamtzahl jeweils etwa 0,8 Prozent. In den übrigen Weltregionen - Asien, Afrika und Südamerika - war kein statistisch bedeutsamer Trend zu erkennen.

Noch keine Gefahr für Fruchtbarkeit

Schon seit rund 25 Jahren diskutieren Forscher die „Spermienkrise“. „Unsere Studie zeigt zum ersten Mal, dass dieser Rückgang stark und anhaltend ist“, erklärt die Reproduktionsmedizinerin und Studien-Ko-Autorin Shanna Swan. Sie hatte im Jahr 2000 eine ähnliche, aber weniger umfangreiche Studie veröffentlicht.

Die Untersuchung liefere eine gute Diskussionsgrundlage, sagt ihr Kollege Stefan Schlatt vom Universitätsklinikum Münster, der nicht an der Studie beteiligt war. Die aufgezeigte Tendenz sei allerdings nur ansatzweise bedenklich: „Wenn man sich die konkreten Zahlen ansieht, liegen sie immer noch weit über den Werten, die die Weltgesundheitsorganisation WHO als Untergrenze der Zeugungsfähigkeit angibt.“

Die Männer in den westlichen Industrienationen haben immer noch rund 47 Millionen Spermien je Milliliter Ejakulat. Die WHO nennt als Referenzwert für Unfruchtbarkeit eine Spermienzahl von unter 39 Millionen.

Ursachenmix: Von Pestiziden bis Rauchen

Nicht untersucht haben die Forscher in der aktuellen Studie Beweglichkeit und Form der Spermien – beides Eigenschaften, die ebenfalls maßgeblich sind für die Zeugungsfähigkeit. Wie Levine und Kollegen schreiben, gibt es dafür in dem langen Untersuchungszeitraum zu wenig vergleichbare Daten.

Ebenfalls nicht erforscht haben sie die Ursachen für die schrumpfenden Spermienzahlen. Da sie aber nur in den westlichen Ländern vorkommen, „weist das deutlich darauf hin, dass chemische Substanzen im Warenverkehr eine kausale Rolle spielen“, wie es Shanna Swan ausdrückt.

Frühere Studien haben etwa gezeigt, dass Pestizide in der Landwirtschaft oder hormonell wirkende Zusätze in Kunststoffen mit der Produktion von Spermien zusammenhängen. Gleiches gilt für Lebensstilelemente wie Stress, Übergewicht und Rauchen.

Indikator für Männergesundheit

Wie die Forscher betonen, sagen Quantität und Qualität von Spermien nicht nur etwas über die Fruchtbarkeit von Männern aus, sondern auch über ihren allgemeinen Gesundheitszustand.

Bedenklich findet etwa der Biomediziner Artur Mayerhofer von der Uni München den Trend, der mit der schrumpfenden Zahl an Spermien einhergeht: eine Zunahme von Hodentumoren, Kryptorchismus („Bauchhoden“) und anderen Problemen sowie einen Zusammenhang mit einem allgemeinen Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko.

science.ORF.at/dpa

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