Drei Grad plus in 30 Jahren

Das Mittelmeer wird immer mehr zur tropischen Badewanne. Vor der Küste Israels etwa ist es in den letzten 30 Jahren um drei Grad wärmer geworden. Forscher warnen, dass das Problem bald alle europäischen Küstenländer betreffen wird.

Wassertemperaturen fünf Grad Celsius über dem Durchschnitt gab es heuer bereits im Juni im Ligurischen Meer. Italienische Meteorologen schlagen Alarm, das werde dramatische Auswirkungen auf die Fischerei haben, immer mehr tropische Tierarten verdrängen einheimische Fische, Muscheln oder Pflanzen.

Das Phänomen ist aber kein lokal begrenztes, sondern betrifft das ganze Mittelmeer. Besonders eklatant ist die Situation im östlichen Mittelmeer vor der Küste Israels. Auch dort ist ein dramatischer Wandel im Gange, der das gesamte marine Ökosystem völlig verändert hat und weiter verändern wird. Zu diesem Schluss kommt Paolo Albano, Meeresbiologe an der Uni Wien, der mit dem Paläontologen Martin Zuschin die Bodenlebewesen vor der Küste Israels untersucht hat.

Entnahme einer Wasserprobel vor Tel Aviv

Paolo Albano, Universität Wien

Entnahme einer Wasserprobe vor Tel Aviv

„Viele Faktoren forcieren den totalen Zusammenbruch des bisherigen Ökosystems im östlichen Mittelmeer, ein entscheidender ist die globale Erwärmung. In den letzten 30 Jahren ist die Wassertemperatur in den israelischen Küstengewässern um drei Grad gestiegen“, sagt Albano.

Sueskanal: Freie Fahrt für neue Arten

Diese ungewöhnlich hohen Temperaturen setzen endemische Fisch- und Pflanzenarten unter Druck. Viele sind schon ausgestorben oder mussten tropischen Einwanderern weichen. Mehr als 90 Prozent der Muscheln und Schnecken, die das österreichische Forschungsteam gefunden hat, sind aus dem Roten Meer eingewandert.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 27. Juli, 12.00 Uhr.

Albano studiert diese - wie er sagt - „größte marine Massenwanderung der Geschichte“, die mit der Eröffnung des Sueskanals 1869 in Gang gesetzt wurde.Während einheimische Arten mit dem radikalen Wandel ihres Lebensraumes kämpfen, sind die Neuankömmlinge bestens adaptiert und an die hohen Temperaturen angepasst. Sie lassen sich im neuen Habitat nieder und vermehren sich, die einheimischen Arten verschwinden.

Das Forschungsschiff

Paolo Albano, Universität Wien

Das Forschungsschiff im Hafen von Tel Aviv

Assuan-Staudamm: Sand statt Schlamm

Doch nicht nur die tropischen Temperaturen begünstigen die tropischen Einwanderer, der Assuan-Staudamm verhindert seit fast einem halben Jahrhundert, dass der Nil das Mittelmeer mit Schlamm, Sedimenten und Nährstoffen versorgt. Wo früher Schlamm den Meeresboden bedeckte, gibt es jetzt nur noch Sand.

Der Meeresbiologe Albano: „Das hat die Lebensbedingungen radikal verändert. Die meisten Lebewesen waren auf den Schlamm angewiesen, er bot ihnen reichlich Nährstoffe oder Schutz. Diese Organismen kommen nun mit dem sandigen Lebensumfeld nicht mehr zurecht. Sie werden von tropischen Arten verdrängt, für die der Sand optimale Bedingungen bietet.“

Rückkehr der großen Arten

Die Paläontologen Rafal Nawrot und Zuschin haben sich der Frage gewidmet, welche Tiere und Pflanzen denn eigentlich über das Rote Meer eingewandert sind. Überraschendes Ergebnis der demnächst in einer Fachzeitschrift erscheinenden Studie: Anders als erwartet sind die eingewanderten Muscheln sehr groß. Die mögliche Ursache dafür könnte in den pleistozänen Vereisungen vor zwei bis drei Millionen Jahren zu finden sein.

Küste Israels mit den großen Muscheln

Paolo Albano, Universität Wien

Die tropische Muschel Brachidentes pharaonis hat den Strand im nordisraelischen Dor erobert

Zuschin: „Wir wissen, dass damals im Mittelmeer bevorzugt große Arten ausgestorben sind, und diese großen Arten wurden nie wieder ersetzt. Jetzt schaut es ein wenig so aus, als würde dieses Manko durch die Einwanderung großer Arten aus dem Indopazifischen Raum, also dem Roten Meer, wieder ausgeglichen werden.“

Krise erreicht Europa

All diese Veränderungen des Mittelmeeres sind kein lokales Phänomen vor den Küsten Israels oder Ägyptens, meint der Meeresbiologe Albano. Die Entwicklung hat schon längst europäische Gewässer erreicht, wenn auch vorerst in schwächerem Ausmaß.

Doch die Temperaturen steigen überall, die fremden Arten werden mit Meeresströmungen in alle Teile des Mittelmeeres getragen. Albano mahnt die europäischen Länder, das Problem als auch eines der ihren wahrzunehmen. „Es ist auch ein Problem für Europa. Die Folgen dieses gewaltigen Umbruchs sind schon längst in Griechenland, Zypern oder Italien zu sehen. Tropische Fische, Quallen, Muscheln haben sogar die Adria erreicht. Es ist und muss ein Thema auch für Europa sein, und nicht nur für asiatische oder afrikanische Länder.“

Denn wenn es so weitergeht, dann wird das Mittelmeer – in Afrika, Asien und Europa - bald zur einer heiß gefüllten, tropischen Badewanne voller neuer, tropischer Pflanzen- und Tierarten. Mit schwerwiegenden Folgen und Änderungen für alle, die vom marinen System leben: Fischerei, Tourismus, Industrie und Handel.

Josef Glanz, Ö1-Wissenschaft

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