Die heutigen Spuren der Kanaaniter

Laut Bibel müssten sie eigentlich ausgestorben sein: die Kanaaniter, ein hoch entwickeltes Volk, das vor rund 4.000 Jahren in der Levante gelebt hat. Forscher haben nun nachgewiesen, dass zumindest ihr Erbgut zu einem großen Teil überlebt hat.

90 Prozent der DNA von historischen Kanaaniter-Knochen sind jener von heutigen Libanesen gleich, berichtet ein Team um den Genetiker Marc Haber vom Wellcome Trust Sanger Institute in einer neuen Studie.

„Wenn man die extrem komplexe Geschichte der Region in den letzten Jahrtausenden betrachtet, ist das schon ziemlich überraschend“, meint Ko-Autor Chris Tyler-Smith.

Eines der in Sidon ausgegrabenen Kanaaniter-Skelette

Claude Doumet-Serhal - The Sidon excavation

Eines der in Sidon ausgegrabenen Kanaaniter-Skelette

Zwischen gelobtem Land und Vernichtung

Bekannt sind die Kanaaniter vor allem durch die Bibel: Über 150 Mal werden sie darin erwähnt. Im Buch Exodus wird ihre Heimat Kanaan als „gelobtes Land, in dem Milch und Honig fließt“, bezeichnet. Es lag zum Großteil im Bereich der heutigen Länder Libanon, Israel und Syrien.

Im Buch Josua heißt es, dass die Israeliten die Städte und Dörfer der Kanaaniter vernichteten. Was tatsächlich aus dem hoch entwickelten Volk wurde – von ihm stammt etwa das erste echte Alphabet - und woher sie überhaupt stammten, blieb lange Zeit unbekannt. Denn nur wenige ihrer Schriften sind bis heute erhalten.

Antwort steckt in DNA

Genetik hat nun geholfen, die Geschichte der Kanaaniter weiterzuschreiben. Die Überlegung der Forscher um Marc Haber: Wenn die Kanaaniter tatsächlich ausgerottet wurden, dann dürfte ihr Erbgut beim modernen Menschen nicht mehr zu finden sein.

Das Genmaterial für ihre Untersuchungen stammte von Ausgrabungen in Sidon, einer wichtigen Stadt der Kanaaniter. Sie liegt an der Küste des heutigen Libanon. Fast 4.000 Jahre alt sind die Überreste der fünf Kanaaniter, die man dort gefunden hat. Für den Vergleich mit moderner DNA nahmen die Forscher Proben von 99 heutigen Libanesen.

Die Ausgrabungsstätte in Sidon

Claude Doumet-Serhal - The Sidon excavation

Die Ausgrabungsstätte in Sidon

Geschichte rekonstruiert

Der Vergleich mit DNA-Mustern verschiedener Herkunft zeigte, dass sich die Volksgruppen der Kaaniter vor ungefähr 5.000 Jahren entwickelt haben. „Sie waren eine Mischung aus lokalen neolithischen Bauern und Einwanderern aus dem Osten“, sagt Marc Haber.

Die Zeit vor ca. 3.800 bis 2.200 Jahren verlief sehr turbulent, im Gebiet der Kanaaniter kam es zu vielen Eroberungen. Die Forscher vermuten, dass sie sich in der Zeit mit mehreren eurasischen Völkern vermischten.

Dennoch haben die Kanaaniter ihre Spuren bis heute hinterlassen: 90 Prozent der heutigen libanesischen Gene gehen auf sie zurück. Zumindest die Geschichte ihres Erbguts geht also weiter – die biblische Geschichte von der Zerstörung der kanaanitischen Kultur ist damit freilich nicht notwendigerweise widerlegt.

Anita Zolles, science.ORF.at

Mehr zum Thema: