Eine „Tarnkappe“ für den Lärm

Wir leben in einer lauten Welt. Mit herkömmlicher Schalldämmung ist beispielsweise dem Lärm in der Stadt nicht beizukommen. Forscher arbeiten an neuen Materialien, die Schall gewissermaßen verschwinden lassen.

Wenn man heute in seiner Stadtwohnung Ruhe haben will, dann braucht man entweder ruhige Nachbarn und Innenhoflage oder sehr dicke Wände. Gerade niederfrequente Töne sind schwierig abzudämmen, wie etwa der Subwoofer nebenan oder das Brummen des Verkehrs. Traditionellerweise müsste effektive Dämmung so viel Platz einnehmen wie die Wellenlänge – und die ist bei niedrigen Frequenzen eben länger, erklärt Andrew Norris, Physiker und Akustiker an der Rutgers Universität in den USA, gegenüber science.ORF.at.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 2.8. um 13:55

Eine zentimeterdünne Wand kann also kaum vor dem Bass aus der Nebenwohnung schützen. Wenn sie aber aus einem Metamaterial besteht, könnte selbst eine dünne Wand, Lärm effektiv absorbieren, erklärt Norris: „Metamaterialen sind streng genommen etwas, das in der Natur nicht vorkommt. Sie können Dinge schaffen, die wir in der Natur nicht erwarten würden - es hat den Anschein als würden wir physikalische Prinzipien verletzen.“ Was natürlich nicht geschieht – nur unsere Wahrnehmung wird überrascht.

Struktur und Anordnung

Ein Metamaterial besteht nicht notwendigerweise aus innovativen Materialen, entscheidend ist vielmehr die Struktur bzw. die Anordnung des Materials, sei es Plastik, Holz oder Metall. Beispielsweise könnte eine Wand an der Oberfläche mit kleinen Resonatoren bestückt sein – in Form kleiner Plastikstücke, die bei bestimmten Frequenzen schwingen und diese so absorbieren.

Ein einfaches Modell lässt sich selbst mit handelsüblichen 3D-Druckern bauen – bei der diesjährigen Internationalen Konferenz für Theoretische Akustik in Wien (ICTCA) wurde so ein Modell vorgeführt - wenn es als Kiste über einen Lautsprecher gestülpt wird, bringt es deutlich mehr Lärmdämmung als etwa eine gleichdicke und –schwere Holzkiste.

Video zur lärmschluckenden Kiste

Tarnung vor Schallwellen

Aber Metamaterialien können noch viel mehr. Je nachdem, welche Strukturen man wie anordnet, kann man Wellen brechen, absorbieren oder beugen. „Es gibt da einen exotischen Effekt, den Leute auch den Harry-Potter-Effekt nennen – nach seinem Tarnumhang. Wir sagen auch ‚Cloaking‘ (dt. ‚Verhüllen‘) und dabei geht es darum, den Schall völlig abzulenken, sodass er ausweicht.“

Getestet wurde schon ein „Tarnteppich“ aus einfachem Balsaholz, der durch einen komplexen, schichtartigen Aufbau Schall umleitet, erzählt Andrew Norris. Ähnliches gelang auch schon vor einigen Jahren mit einem ausgeklügelten Lochmuster in Plastik.

Wird die Welt bald ruhiger?

Der Clou sind „periodische Strukturen“ – um sie zu entwickeln, damit sie effizient Schall manipulieren, bedarf es vieler Berechnungen und Modelle, aber sie herzustellen muss nicht ganz so schwierig sein, betont Andrew Norris. Man brauche dazu anders als in der Nanotechnologie meist keine besonderen Geräte oder aufwändige Prozesse – es reichen herkömmliche Industriemaschinen und 3-D Drucker.

Auch darum dürfte es nicht allzu lange dauern, bis die ersten Metamaterialen zur Schalldämmung eingesetzt werden. Dass Hersteller schon jetzt experimentieren, weiß Norris. Er hält es für realistisch, dass im Laufe der nächsten Jahre die ersten Produkte auf dem Markt kommen werden: „Wir könnten eine Revolution der Innenraumakustik erleben. Räume könnten größer oder kleiner klingen, als sie sind und vor allem ruhiger sein. Auch Alltagsgeräte können viel leiser werden.“

In Auspuffrohre ließen sich z.B. schallabsorbierende Innenstrukturen einbauen, genauso wie in Staubsauger. Unsere Welt könnte viel ruhiger werden, hofft Norris. Irgendwann werde man Schall im Alltag vielleicht ähnlich wie Licht steuern können. Das übergeordnete Ziel der Akustikforscherinnen und –forscher ist es, Schall in jeder Hinsicht zu kontrollieren: Frequenzen voneinander trennen, sie verstärken oder sie blockieren. Was dann alles möglich wird, bleibt laut Norris dem Erfindungsgeist der Menschen überlassen.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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