„Nanoschwimmer“ soll Hirntumore bekämpfen

Medikamente punktgenau ins Gehirn zu bringen, ist wegen der Blut-Hirn-Schranke schwierig. Britische Forscher haben nun winzige Teilchen entwickelt, die genau das versprechen: Die „Nanoschwimmer“ könnten Gehirntumore künftig gezielter bekämpfen.

Das Gehirn ist die zentrale Schaltstelle unseres Körpers. Schädel, Hirnhäute und Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit schützen das sensible Organ vor Stößen. Aber auch von Innen ist es bestens geschützt. Schadstoffe, die sich bereits in unserem Blut befinden, werden von der sogenannten Blut-Hirn-Schranke abgefangen, bevor sie ins Gehirn eindringen können.

Das Problem: Auch Medikamente werden von dieser physiologischen Barriere zwischen Blutkreislauf und Zentralnervensystem aufgehalten und können so nicht dorthin gelangen, wo sie benötigt werden.

Ein internationales Team von Forschenden entwickelte nun eine Art Nanofahrzeug, das die Blut-Hirn-Schranke durchqueren kann. Dabei handelt es sich um ein sehr kleines Partikel, auch „Nanoschwimmer“ genannt, in dessen Inneren natürlich vorkommende Enzyme eingeschlossen sind. Wie in einer Kapsel sind die beiden Enzyme (Glucose-Oxidase und Katalase) so davor geschützt zu denaturieren und wirkungslos zu werden. Andererseits können sie trotz dieser Schutzhülle mit dem Zucker in unserem Blut, der Glucose, reagieren und ihn in Wasser- und Sauerstoffmoleküle zersetzen.

Zucker als Wegweiser

Vergleichbar winzige Partikel würden in unserer Blutbahn zufällig herumgetrieben und könnten ihr Ziel nur schwer finden. Die Forscher und Forscherinnen designten die Partikel daher asymmetrisch. „Eine Seite des Partikels ist hundert Mal durchlässiger als der Rest. Wir haben quasi eine Pore geschaffen“, sagt der Studienautor Giuseppe Battaglia vom University College London (UCL) gegenüber science.ORF.at.

Die Enzyme im Innern des Partikels reagieren hier schneller mit dem Blutzucker und geben daher an dieser Stelle auch mehr Wasser- und Sauerstoffmoleküle ab. Das Freisetzen dieser Moleküle treibt wiederum das Partikel an – es fährt quasi mit Selbstantrieb und zwar immer in Richtung des Zuckers in unserem Blut.

UCL-Video: Wie die „Nanoschwimmer“ Stoffe ins Gehirn liefern

Der Blutzucker ist auf dem Weg ins Gehirn ein optimaler Wegweiser. „Von der gesamten Glucose, die wir pro Tag zu uns nehmen, benötigt das Gehirn rund 30 Prozent. Es macht dabei aber nur fünf Prozent unseres Körpergewichts aus. Glucose fließt also von unserem Körper ins Gehirn, und diesem Verlauf folgen die Nanoteilchen“, so der Professor für Molekulare Bionik.

Versuche zeigten: Mithilfe dieses Zucker-Leitsystems schafften es viermal mehr „Nanoschwimmer“ in die Gehirnzellen von Ratten als das bei Partikeln der Fall ist, die nicht vom Zucker geleitet werden.

Gezielte Behandlung von Hirntumoren

In Zukunft soll es so möglich sein, jede Stelle im menschlichen Körper über unseren Blutkreislauf zu erreichen und Medikamente so gezielt auch bis ins Gehirn oder das Rückenmark zu schleusen. Die Forscherinnen und Forscher erhoffen sich besonders bei der Behandlung von Hirntumoren große Fortschritte.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in der Sendung Wissen aktuell, 3.8., 13:55 Uhr.

„Viele Hirntumore werden von derselben Barriere geschützt, die eigentlich unser Gehirn schützen soll. Sie können ungehindert wachsen, denn die Medikamente erreichen sie nicht“, sagt Giuseppe Battaglia. Nur ein geringer Teil einer injizierten Dosis eines Medikaments schafft es derzeit bis ins Gehirn. Die Dosis zu erhöhen komme aufgrund von Nebenwirkungen oft nicht in Frage.

Auch die Erforschung des Gehirns soll mit den selbstfahrenden Nanoswimmern besser werden. Versieht man die Partikel etwa mit fluoreszierenden Proteinen, lässt sich beobachten, wie sie sich im Gehirn bewegen. „Mit ihrer Hilfe wollen wir besser verstehen, wie das Gehirn Nährstoffe aufnimmt, wie die Nervenzellen miteinander verbunden sind und wie sein gesamter Stoffwechsel funktioniert. Das Gehirn ist eines unserer wichtigsten Organe, und doch wissen wir noch nicht viel darüber, wie es funktioniert.“

Lena Hallwirth, Ö1-Wissenschaft

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