Warum Jugendliche „klassische“ Berufe wählen

Mädchen werden Frisörin oder gehen in den Einzelhandel, Burschen machen ihre Lehre beim Kfz-Mechaniker oder Elektriker. Noch immer wählen die meisten Jugendlichen einen geschlechtstypischen Lehrberuf. Psychologinnen haben die Gründe erforscht.

Es ist vor allem die Selbsteinschätzung der Jugendlichen, die zu einer typischen Berufswahl führt. „Eigentlich kristallisiert sich schon in der Volkschule so eine Einstellung heraus, dass die Mädchen glauben, sie seien in Mathematik und den Naturwissenschaften nicht begabt“, erklärte eine der Studienautorinnen, Manuela Paechter, Psychologin an der Universität Graz. Buben sehen ihre Schwächen im sozialen Bereich sowie in den Sprachen, so die Studie aus der Steiermark. „Wir haben die Jugendlichen über ein Jahr lang begleitet. Vom ersten Schulsemester an einer Polytechnischen Schule bis zu den ersten Monaten in ihrem Lehrberuf.“

Insgesamt äußern neun Prozent der Buben und 20 Prozent der Mädchen am Beginn des Schuljahres den Wunsch, einen untypischen Lehrberuf zu ergreifen. Das heißt, Mädchen zeigen Interesse an einem technischen Beruf wie Automechanikerin oder Elektrikerin und Buben etwa am Einzelhandel. Tatsächlich setzt aber nur die Hälfte ein solches Vorhaben auch um. Der Großteil wählt einen klassischen Lehrberuf.

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Diesem Thema widmet sich am 30.8.auch ein Beitrag im Mittagsjournal.

Untypische Interessen stark ausgeprägt

Entscheiden sich Jugendliche doch für einen untypischen Beruf, werde das dafür notwendige Interesse sehr früh geprägt, erklärte Paechter. „Nehmen wir das Beispiel eines Mädchens, das sich für einen geschlechtsuntypischen Beruf wie Kfz-Mechanikerin interessiert. Diese müssen auch mal gerne das Fahrrad repariert haben oder wissen wollen, wie ein Motor funktioniert."

Weibliche Lehrlinge in der VOESTALPINE

APA-FOTO: HANS KLAUS TECHT

Weibliche Lehrlinge in der voestalpine

Zusätzlich sehen die jungen Frauen ihre Stärken klar in der Mathematik und Naturwissenschaften und interessieren sich kaum für Sprachen, Kosmetik oder den Verkauf. „Wenn Interesse in beiden Bereichen bestand, wurde in der Regel doch ein Lehrberuf im geschlechtstypischen sozialen Bereich gewählt“, erläuterte Paechter.

Dass Buben und Mädchen aber überhaupt alternative Interessen entwickeln und diesen letztlich nachgehen, hängt laut den Studienergebnissen wiederum stark von den Eltern sowie dem sozialen Umfeld ab. Denn dort, wo die Wahl auf einen untypischen Beruf fällt, kommt viel Unterstützung von den Eltern, die größtenteils selbst einen untypischen Beruf haben.

„Wir haben eine kleinere Gruppe von Jugendlichen interviewt, die dann etwa berichteten, dass sie sich schon als Kind mit dem Vater mit Baukästen beschäftigt haben oder dass die Väter und Mütter etwas aus der Arbeit mitgebracht haben, was mit dem Beruf zu tun hatte.“ Die Entscheidung für einen geschlechtsuntypischen Beruf wird laut Paechter daher von der frühen Kindheit an vorbereitet. Selbiges gilt auch für die typische Berufswahl, die so ebenfalls „vererbt“ wird.

Girl’s und Boy’s Day ist nur „Sahnehaube“

Dementsprechend seien Initiativen wie Girl’s und Boy’s Day etwa nur „die Sahnehaube“ auf der Spitze eines langen Berufsorientierungsprozesses, meinte Paechter. „Diese Initiativen werden vor allem von jenen Jugendlichen angenommen, die offen gegenüber der Vorstellung sind, einen untypischen Beruf zu ergreifen, die sich fragen, ob das Spaß machen würde bzw. ob man die Fähigkeiten dazu hat.“ Junge Menschen, bei denen sich die Stereotypen bereits gefestigt haben, erreicht man damit hingegen kaum mehr. „Wir müssen hier schon ganz früh ansetzen und das Selbstvertrauen der Kinder fördern - im mathematischen und technischen Bereich bei den Mädchen und natürlich auch in den Bereichen Sprachen, Kunst oder Soziales bei den Buben.“

Auch frühe Erfahrungen im Beruf erleichtern die spätere Entscheidung, wie die Jugendlichen im Rahmen der Studie berichten. Deshalb plädiert Paechter dafür, früh und spielerisch Erfahrungen mit unterschiedlichsten Berufen zu ermöglichen. „Wir Menschen sind schlichtweg zufriedener, wenn wir ein größeres Spektrum an Alternativen haben, für die wir uns entscheiden können. Im Moment verkleinern wir unsere Optionen für unsere Lebenswege dadurch, dass wir Geschlechtsstereotypen folgen“, sagte Paechter.

Auf eigene Vorurteile achten

Zudem fordern die Psychologinnen Lehrer wie Eltern dazu auf, sich ihre eigenen Stereotype bewusst zu machen und Kinder in ihren Interessen und Talenten früh zu bestärken. „Hier nehmen wir jedoch noch wenig Interesse von den Lehrerinnen und Lehrern wahr, sich ihre eigenen Rollenbilder bewusst anzusehen und zu reflektieren, inwiefern sie diese in ihre Klassenzimmer tragen“, erklärte die Mitautorin der Studie, Silke Luttenberger, die versucht, mehr Aufmerksamkeit in die Ausbildung von Lehrern zu bringen. Eltern wiederum könnten etwa bei der Wahl des Spielzeuges darauf achten, weniger geschlechtstypische Sachen zu kaufen, bzw. es auch zulassen, wenn ein Junge gerne der Puppe die Haare kämmt, ergänzte Paechter.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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