150 Jahre alte Keimblatt-Theorie wackelt

Vom Wurm bis zum Menschen: Bei höheren Tieren entwickelt sich das Leben aus drei Keimblättern. Bei ganz einfachen Wesen sind es nur zwei – dieses 150 Jahre alte Lehrbuchwissen wird nun von Wiener Forschern in Frage gestellt.

Die Gruppe um den Entwicklungsbiologen Ulrich Technau von der Universität Wien entdeckte bei einer Seeanemone („Nematostella vectensis“), dass dort schon alle drei Keimblätter genetisch angelegt sind.

Offensichtlich gab es also schon bei einem gemeinsamen Vorfahren von Blumentieren und höheren Tieren drei unterschiedliche Entwicklungseinheiten, erklärte Technau im Gespräch mit der APA. Bisher nahm man an, dass das mittlere Keimblatt (Mesoderm) eine Neuerfindung in der Evolution höherer Tiere war.

Ektoderm, Mesoderm und Entoderm

Bei ihnen gibt es das außen liegende Ektoderm, aus dem die Haut und das Nervensystem entstehen, das Mesoderm, von dem Muskulatur und Drüsen gebildet werden, und das Entoderm, dessen Zellen sich zum Darm und anderen inneren Organen entwickeln.

Bei Blumentieren, der mit mehr als 7.000 Arten größten Klasse der Nesseltiere, hatte man zuvor nur zwei Keimblätter entdeckt. Teilweise sprach man ihrem Entoderm auch mesodermale Eigenschaften zu und nannte es darum Mesentoderm.

Neue Aufgabenverteilung

Auch diese Zuteilung ist nach der neuen Studie teilweise obsolet. „Das Entoderm der höheren Tiere ist laut unseren Resultaten nicht evolutionär mit der inneren Zellschicht der Seeanemone verwandt, sondern vermutlich aus dem Schlund-Ektoderm hervorgegangen“, so Technau. Das Schlund-Ektoderm ist eine Einstülpung der äußeren Zellschicht (Ektoderm) im Mundbereich entlang der inneren Zellschicht (Entoderm). Das Entoderm der Seeanemonen weist wiederum viel mehr Ähnlichkeiten mit dem Mesoderm von höheren Tieren auf, als mit deren Entoderm, erklären die Forscher.

Offenbar wurden in der Evolution von einfachen zu komplizierter gebauten Tieren also die Aufgaben teilweise neu zugeteilt und deutlicher getrennt. Dadurch wurde das Mesoderm irgendwann als „neues“ Keimblatt erkennbar, obwohl es im Verborgenen schon länger existierte.

science.ORF.at/dpa