Chomskys Abrechnung mit dem Amerikanischen Traum

Die Streitlust ist Noam Chomsky auch mit seinen mittlerweile 88 Jahren nicht abhanden gekommen. Das stellt der linke Intellektuelle mit seinem jüngsten Buch einmal mehr unter Beweis: eine Kampfansage an die Eliten der USA.

Vom Tellerwäscher zum Millionär - „from rags to riches“ - so lautet das Mantra des Amerikanischen Traums. Er umfasst vor allem die Vorstellung, dass es jeder zu etwas bringen kann, wenn sie oder er nur hart genug dafür arbeitet.

Genau diese Idee beerdigt der Star-Intellektuelle Noam Chomsky in seinem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch „Requiem für den Amerikanischen Traum“. Nach Chomskys Ansicht war der Traum ohnehin nie mehr als eben das: eine Mär vom sozialen Aufstieg, die Machthaber nutzen, um das Gros der Bevölkerung zu kontrollieren.

„Plutokratie mit demokratischen Anhängseln“

Allerdings, betont der Linguist, Philosoph und politische Denker, sei es heutzutage durch die extrem ungleiche Verteilung von Reichtum, Besitz und somit eben Macht noch unwahrscheinlicher geworden, dass der Traum wahr werde. „Die USA haben sich wegentwickelt von einer Demokratie, hin zu einer Plutokratie mit demokratischen Anhängseln“, sagte Chomsky in einem dpa-Interview.

„Die 10 Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht“, heißt da unmissverständlich auch der Untertitel des schmalen Buchs in Dollarschein-Optik. Auch die in Kapitel gegliederten Prinzipien haben eindeutige Namen: „Demokratie einschränken“, „Solidarität bekämpfen“, oder „Den Pöbel im Zaum halten“ heißen sie etwa.

Herrschaft der Eliten

Als Belege für die Prinzipien zieht Chomsky mal mehr, mal weniger berühmte und historische Schriften und Reden zu Hilfe: Er zitiert etwa aus einer Mitschrift des Verfassungskonvents 1787 den späteren vierten US-Präsidenten James Madison.

Dieser wollte sicherstellen, dass das neue Staatssystem die Minderheit der Reichen gegenüber der Mehrheit schütze. Die Herrschaft einer kleinen Elite prägte also schon die Staatsgründung der USA, wie Chomsky argumentiert. Der Autor bedient sich aber auch zeitgenössischer Quellen, wie ein Artikel aus dem „New America Weekly“-Magazin über die Macht der Unternehmenslobbyisten zeigt.

Sprachlich mischt der emeritierte Professor des Massachusetts Institute verschiedene Register: Chomsky schreibt etwa darüber wie Staatskritikern in der Sowjetrepublik „das Hirn weggepustet“ wurde, während sie anderswo „diffamiert“ werden.

Der Denker will die Masse und die Akademiker erreichen. Schließlich hofft er, dass die Welt nicht so bleibt, wie sie ist. Dafür müssten sich - argumentiert Chomsky in sozialistischer Tradition - genügend Menschen finden, die sich gemeinschaftliche für Änderung einsetzten.

Film zum Buch

Chomsky selbst ist in der Hinsicht ein Phänomen: Mit 88 Jahren ist er der linken Kritik noch nicht müde geworden. Ganz im Gegenteil: Es wirkt, als fürchte er, keine Zeit mehr zu haben und redet deshalb nicht lange um den heißen Brei herum, verwendet eine direkte Sprache.

Er schreibt Buch um Buch, hält weltweit Vorträge, gibt Interviews und ist sich nicht für aufwendige Projekte zu schade. Mit Uruguays Ex-Präsidenten José Mujica drehte er zuletzt einen Dokumentarfilm.

Auch zu „Requiem“ gibt es einen Film. Zu sehen ist das knapp 80-minütige Interview mit Chomsky etwa auf der vor allem von einem jungen Publikum genutzten Video-Plattform Netflix.

Chomsky ist aber längst nicht unumstritten. Als Linguist muss er sich ohnehin seit Jahrzehnten Kritik an seiner Theorie der Universalgrammatik gefallen lassen - trotzdem wird sie in fast jedem Einführungseminar in die Sprachwissenschaft erwähnt.

Ernüchtert, nicht hoffnungslos

Als linker Denker in den Staaten muss der Philosoph ohnehin mehr einstecken, als das anderswo der Fall wäre. Auch innerhalb der Linken gibt es Gegenwind. Manche Kritiker etwa stellen Chomsky - der selbst Jude ist - seiner Unterstützung Palästinas wegen in die antisemitische Ecke.

Beirren lässt sich Chomsky aber nicht. In „Requiem“ ist ihm nichts an seinen Überzeugung verloren gegangen: Es könnte die größte Gabe des Denkers sein, dass er aus seinem politischen Frust nie Fatalismus werden lässt. Eine gerechtere Welt sei möglich, ist sich Chomsky sicher. „Es waren Aktivisten, die die Rechte erkämpft haben, die wir heute genießen“, schreibt er. „Wir können noch viele Siege erringen.“ Vielleicht tauscht Chomsky da einen Traum gegen einen anderen aus.

science.ORF.at/dpa

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