Mut zur Faulheit - Es zahlt sich aus!

Arbeit ist des Menschen Zierde: Im christlichen Wertekanon gilt Fleiß als eine Tugend. Doch ist er das wirklich? Sind die Faulen vielleicht die besseren Fleißigen?

„Wer hat wohl das Rad erfunden? Na einer, der zu faul war, zu Fuß zu gehen!“ Der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann liebt es mitunter paradox. Die menschliche Faulheit, so Liessmanns These, war und ist ein Motor der technischen Weiterentwicklung.

Zum 21. Mal hat Liessmann von 20. bis 24. September 2017 das Philosophicum im gediegenen Vorarlberger Urlaubsort Lech am Arlberg geleitet. Dass bei diesem interdisziplinären Symposion diesmal der „Mut zur Faulheit“ eingefordert wurde, kommt nicht von ungefähr:

Vorwärts zum Dreistundentag

„Das Recht auf Faulheit“ nannte der französische Frühsozialist Paul Lafargue 1880 sein wegweisendes kurzes Werk, das als Gegengewicht zum „Recht auf Arbeit“ gedacht war. Dieses war einst vom Gesellschaftstheoretiker Charles Fourier erfunden worden und 1848 zu Revolutionsehren gekommen.

Nun war der freche Lafargue freilich nicht irgendwer, sondern ausgerechnet der Schwiegersohn von Karl Marx, für dessen Lehrgebäude das Recht auf Arbeit ja nicht gerade unwichtig war - frei nach der Forderung des heiligen Paulus: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ Von Wirtschaftsliberalen über Sozialdemokraten bis zu Josef Stalin übernahmen diesen Satz viele Systeme und Regimes.

Paul Lafargue, 1871

gemeinfrei

Theoretiker des Müßiggangs: Paul Lafargue

Doch wer solches fordert, muss auch das Recht auf Arbeit einmahnen, weil er den Menschen sonst ihre Lebensberechtigung abspricht. Lafargue hält dagegen, dass die Arbeit nicht der Lebenszweck des Menschen sei – auch nicht jener des Proletariers:

"[D]amit ihm seine Kraft bewusst wird, muss das Proletariat die Vorurteile der christlichen, ökonomischen und liberalistischen Moral mit Füßen treten; es muss zu seinen natürlichen Instinkten zurückkehren, muss die Faulheitsrechte ausrufen, die tausendfach edler und heiliger sind als die schwindsüchtigen Menschenrechte, die von den übersinnlichen Anwälten der bürgerlichen Revolution wiedergekäut werden; es muss sich zwingen, nicht mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten, um den Rest des Tages und der Nacht müßig zu gehen und flott zu leben.“

Sendungshinweis

Dem Mut zur Faulheit widmet sich auch die heutige Ausgabe des Salzburger Nachtstudios, 27.9., 21.00 Uhr.

„Abgestumpft von einem Laster“

Wie 1880 liest sich das vordergründig auch heute noch als pure Provokation für alle schwer Arbeitenden und Fleißigen, die im Schweiße ihre Angesichts ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, also die überwiegende Mehrheit der anständigen Menschen, für Sozialisten gleichwie für Kapitalisten.

Doch Lafargue ging es im 19. Jahrhundert um etwas anderes. Er schrieb gegen die Zwölf- bis 16-Stunden-Tage der Fabrikarbeiter in Frankreich an. Allen Kritikern von links wie rechts hielt er entgegen, dass weniger Arbeit nicht weniger Ertrag bedeuten muss:

„Die große Erfahrung Englands liegt vor, die Erfahrung einiger intelligenter Kapitalisten liegt vor: sie beweisen unwiderlegbar, dass, um die menschliche Produktion zu steigern, man die Arbeitszeit herabsetzen und die Zahl der bezahlten Feiertage vermehren muss, und das französische Volk sieht es immer noch nicht ein. Aber wenn eine jämmerliche Verkürzung um zwei Stunden die englische Produktion um ein Drittel in zehn Jahren erhöht hat, welchen schwindelerregenden Vormarsch würde eine gesetzliche Verringerung des Arbeitstages auf drei Stunden für die französische Produktion bedeuten? Können die Arbeiter denn nicht begreifen, dass dadurch, dass sie sich mit Arbeit überbürden, sie ihre und ihrer Nachkommenschaft Kräfte erschöpfen, dass sie, abgenutzt, vorzeitig arbeitsunfähig werden, dass sie, aufgesogen und abgestumpft von einem einzigen Laster, nicht mehr Mensch sind, sondern menschliche Wracks, dass sie alle schönen Anlagen in sich abtöten, nur der rasenden Arbeitssucht zuliebe.“

„Hygge“ gegen Arbeitssucht

Wenn auch Jesus Christus seine Jünger von Familie und Arbeit weggeholt und gleich ihm zu umherziehenden Nichtarbeitern gemacht hat, ist doch das Christentum maßgeblich an der Erfindung des Fleißes beteiligt gewesen, aus dem schließlich eine Tugend gemacht wurde. Lange vor dem berüchtigten Tugendterror der Französischen Revolution wurde durch die Reformation aus dem protestantischen Wertekanon eine neuzeitliche Arbeitsmoral gebildet. „Dabei haben Adam und Eva im Paradies sicher nicht gearbeitet“, meint Liessmann verschmitzt.

Vielleicht haben sie nur konsumiert? Der reine, lustvolle Konsum hatte lange Zeit keine gute Nachrede, galt als lasterhaft und frivol. Mittlerweile wird er selbst in Arbeit verwandelt, um ihn für die Jünger der Leistungsgesellschaft als Tugend zu verpacken.

War es einst ein schwedisches Möbelhaus, das diese aktive Form des Konsums von Kästen und Kommoden im großen Stil weltweit verbreitet hat, so kommt der neueste Gegentrend ebenfalls aus Skandinavien, aus Dänemark. Was die Dänen großzügig dem Rest der Welt schenken, nennt sich „Hygge“. Und das bedeutet einfach, mit Familie und Freunden eine entspannte Zeit vor dem Kaminfeuer mit heißer Schokolade oder einem Glas Wein zu verbringen. Gelernten Österreichern kommt das bekannt vor, wir nennen es schlicht „Gemütlichkeit“, die Franzosen „Savoir vivre“.

Ein neues Biedermeier?

Ist es Zufall, dass es im originalen Biedermeier, so in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts, gewesen ist, dass Maschinen im großen Stil begannen, die Arbeit der Menschen zu übernehmen?

Auch heute bedient die Digitalisierung, so ist Liessmann überzeugt, ausschließlich unsere Bequemlichkeit. Und so eignen sich Lessings 250 Jahre alten Worte vortrefflich als Hymne des postmodernen, vernetzten Couchpotatoes:

Laßt uns faul in allen Sachen,
Nur nicht faul zu Lieb’ und Wein,
Nur nicht faul zur Faulheit sein.

Martin Haidinger, Ö1-Wissenschaft

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