Illusion: Patient sieht Gesicht auf Ball

Die Bereiche des Gehirns sind noch spezialisierter als bisher gedacht: Das zeigen neue spektakuläre Experimente österreichischer Forscher. Sie haben einem Patienten Elektroden ins Gehirn verpflanzt, worauf dieser etwa auf einem Ball ein Gesicht gesehen hat.

Die künstlich herbeigeführte Illusion sei ein Beweis dafür, dass das betroffene Gehirnareal die Aufgabe „Gesichtswahrnehmung“ exklusiv erfüllt, berichtet ein Team um den Steirer Gerwin Schalk vom New York State Department of Health in einer neuen Studie.

“Wie soll ich mir das erklären?"

„Ich habe ein Auge gesehen, und einen Mund. Wie soll ich mir das erklären?“, sagte der Patient in einem Video, das bei der Durchführung der Untersuchung an der Asahikawa Medical University im Norden Japans entstand.

Erstaunlich ist, dass er in diesem Moment gerade Dinge ansah, die damit nichts zu tun haben: etwa einen Ball oder eine Schachtel. Die Elektroden, die zu den Halluzinationen geführt haben, wurden dem Patienten im Zuge seiner Epilepsiebehandlung eingesetzt.

Video des verblüfften Patienten

Da rund 30 Prozent der Betroffenen nicht ausreichend auf Medikamente ansprechen, suchen Ärzte mit mittlerweile sehr ausgeklügelten Methoden nach dem Entstehungsort der epileptischen Anfälle im Gehirn, um diese dann gegebenenfalls zu entfernen.

Um die Gehirnareale zu finden, werden Sonden eingesetzt, mit denen dann über ein paar Wochen infrage kommende Stellen sozusagen vermessen werden.

Sonden ins Gehirn verpflanzt

Mit dieser speziellen Art der invasiven Hirnforschung beschäftigt sich das oberösterreichische Spezialunternehmen für Gehirn-Computer-Schnittstellen g.tec seit rund fünf Jahren. Ausgangspunkt war eine Kooperation von Firmengründer Christoph Guger mit den Neurochirurgen von der Uniklinik in Japan. Seither stellt die in Schiedberg südlich von Linz und in Graz angesiedelte, 1999 als Spin-Off der Technischen Universität Graz gegründete Firma die Hard- und Software für diese Form der Chirurgie und Forschung zur Verfügung.

Im Falle dieses Patienten wurden spezielle Sonden, die kleinste Bereiche des Gehirns zielgenau stimulieren können, im ventralen temporalen Bereich des Gehirns eingesetzt. „Dieses Areal ist zuständig für visuelle Verarbeitung. Im Speziellen für die Kategorisierung von Objekten, Gesichtern und Farbinformationen“, sagte Christoph Kapeller von g.tec.

Ball erhält ein Gesicht

Zuerst zeigten die Forscher dem Patienten Objekte, Schriftzeichen, Nummern oder Gesichter und protokollierten, was sich dabei im Gehirn tut. So zeigte sich, welche Areale besonders auf Gesichter oder Farbe „anspringen“. Diesen Ablauf wiederholten sie dann - allerdings wurden die Nervenzellenverbände in diesen Bereichen gleichzeitig gezielt gereizt.

Schaute der Patient dann etwa in das Gesicht des Studienleiters, berichtete der Proband, dass sich dessen Gesicht stark veränderte. Beim Blick auf ein Objekt – etwa einen Ball – erschien darüber ebenfalls ein Gesicht.

Ähnliches zeigte sich, als die Forscher jenes Areal stimulierten, das am stärksten auf Farben reagierte. Auch hier veränderte sich die Wahrnehmung dramatisch: „Wenn ich auf den Ball schaue, sehe ich dort einen Regenbogen, größer als vorher - und blinkend“, so eine der Aussagen des Probanden.

Ziel: „Landkarten des Gehirns“

Die dahinterliegend wissenschaftliche Frage ist, ob es im Gehirn tatsächlich Bereiche gibt, die nahezu ausschließlich mit nur einer Aufgabe betraut sind. „Da jetzt auf einem Ball plötzlich Gesichter aufgetaucht sind, kann man im Grunde sagen, dass dieses Areal nur für das Erkennen von Gesichtern verantwortlich ist“, sagte Kapeller.

Dass es solche hoch spezialisierten Teile des Gehirns gibt, habe man etwa schon länger im Zuge von Versuchen mit Affen vermutet. „Hier konnte aber erstmals ein Mensch explizit seine Wahrnehmung und Gefühle bei einem ‚Test‘ äußern. Das ist der Sprung, den wir gemacht haben. Man sieht, wie man das Gehirn eigentlich täuschen kann“, so Kapeller.

Das längerfristige Ziel dieser Forschung ist es, Systeme zu entwickeln, mit denen schneller und genauer „Landkarten eines Gehirns“ erstellt werden, auf denen individuell abgebildet ist, welche Areale an welchen Hirnfunktionen beteiligt sind. Kapeller: „Dieses Experiment trägt dazu bei, dass wir einmal den Klinikern und Forschern ein sogenanntes ‚Mapping-System‘ als Produkt anbieten können.“

science.ORF.at/APA

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