Heftige Kritik an Kunstschnee-Studie

Kunstschnee gilt nicht gerade als Musterbeispiel für Klimaschutz. Umso überraschender war eine Studie steirischer Forscher, die eine positive Wirkung auf das Klima nachgewiesen haben will. Innsbrucker Forscher rechneten nun nach – und entdeckten große Lücken.

Die Steirer schlossen diese Lücke nach Eigenaussage aber bereits und bleiben bei ihrer ursprünglichen Aussage. Die Vorgeschichte: Im Mai veröffentlichte ein Team um Franz Prettenthaler, Leiter des Zentrums für Klima, Energie und Gesellschaft des Forschungszentrums Joanneum Research in Graz, die Kurzfassung einer umstrittenen Arbeit. Im Mittelpunkt stand der Albedo-Effekt: Er beschreibt den Umstand, dass hellere Flächen Sonnenstrahlen besser reflektieren als dunklere. Im Sommer etwa ist schwarzer Asphalt heißer als grauer Beton. Im alpinen Winter ist es ähnlich, weiße Schneeflächen reflektieren einen Großteil der Sonnenstrahlung und erwärmen sich deshalb nicht so stark.

Hier setzten die - übrigens vom Fachverband der Seilbahnen Österreichs unterstützten - steirischen Forscher mit ihrer Studie an: Sie verglichen den Abstrahlungsgewinn weißer Kunstschneeflächen mit dem Kohlendioxidausstoß, der für die Herstellung des Kunstschnees nötig ist, und kamen auf eine positive Klimabilanz. Voll zum Tragen komme der Effekt, wenn der Strom für die Schneekanonen aus erneuerbaren Energieträgern stamme. Heftige Kritik an der Arbeit kommt nun von einem Team um die Klimaforscher Georg Kaser und Wolfgang Gurgiser von der Uni Innsbruck. Die Klimabilanz sei voller Lücken.

Lücken in Berechnung, mangelhafte Methode

„Bevor ich ein Gramm Schnee produziere, muss ich sehr viel Energie investieren, um Rohrleitungen sowie Stromleitungen zu verlegen und um Schneekanonen an Ort und Stelle zu montieren“, so Gurgiser gegenüber science.ORF.at. Dazu kommen die Pistenraupen, die den Kunstschnee auf den Hängen verteilen. Der CO2-Ausstoß, der hinter der gesamten Infrastruktur für die Beschneiung steckt, sei in der steirischen Studie nicht enthalten, kritisiert nun Gurgiser.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“, 7.11., 13.55 Uhr.

Ebenso wenig, dass das Treibhausgas in der Atmosphäre über hunderte von Jahren wirksam bleibt. Fehlerhaft sei aber nicht nur der erwärmende Teil der Klimabilanz, sondern auch der kühlende. Denn auch die Rückstrahlwirkung des Kunstschnees werde von der steirischen Studie überschätzt, sagt Gurgiser. „Schnee hat nämlich die Eigenschaft, dass er in alle Richtungen abstrahlt. Und wenn dieser Strahl auf die gegenüberliegende Hangseite, einen Südhang prallt, der schneefreit ist, kann gut passieren, dass ein Teil der Energie wieder absorbiert wird.“

Die steirische Studie war hingegen davon ausgegangen, dass die Sonnenstrahlen in die Atmosphäre reflektiert werden. Wenn aber Teile der Strahlen auf der Erde bleiben, verringert das die kühlende Wirkung des Kunstschnees und stellt das Ergebnis der steirischen Studie infrage.

Schneekanone vor blauem Himmel, die Kunstschnee produziert

ORF.at/Christian Öser

Vereinfachende Darstellung von Einzelaspekt

Den Grund dafür sieht der Innsbrucker Klimaforscher Kaser darin, dass die von den Steirern verwendete Methode ursprünglich für ein Waldgebiet angewendet wurde, wo der Albedo-Effekt hoch ist. „Die Methode mag in hügeligem Wald funktionieren“, sagt Kaser. „Aber nicht in einem komplexen Gelände, wie es Skigebiete sind.“

Die Wald-Studie ist 2010 in einer Fachzeitschrift erschienen und wurde wie üblich von Wissenschaftlerkollegen überprüft – ganz im Gegensatz zur jetzigen Studie, wie Kaser weiter kritisiert. Viele der Annahmen der steirischen Kollegen seien nicht nachvollziehbar. Gemeinsam mit Gurgiser und anderen Forschern haben sich die Innsbrucker dennoch im Sommer daran gemacht, die steirische Studie nachzurechnen.

Am Dienstagvormittag haben sie ihre Ergebnisse im Rahmen einer Pressekonferenz in Innsbruck öffentlich gemacht. Ihre Motivation: „Erstens ist das unsauberes wissenschaftliches Verhalten, jedes Ergebnis muss durch Kollegen überprüfbar sein“, sagt Kaser. „Zweitens befindet sich die Klimaforschung unter den Argusaugen der Öffentlichkeit wie kein anderer Wissenschaftsbereich. Eine derart simplifizierte Darstellung eines Einzelaspekts können wir uns nicht leisten.“

Positiver Effekt bleibt bestehen

Naturgemäß anders sieht das Prettenthaler. Er habe die Kritikpunkte seit Erscheinen der Studie im Mai bereits eingearbeitet bzw. vorweggenommen. „Dadurch hat sich der positive Klimaeffekt von Kunstschnee zwar verringert, er besteht aber nach wie vor“, so Prettenthaler gegenüber science.ORF.at.

Wird der CO2-Ausstoß der Beschneiungsinfrastruktur miteinberechnet, so verändere sich die Bilanz nur geringfügig. Deutlich schlechter wird sie, wenn man den Albedo-Effekt rechnerisch an die alpine Landschaft anpasst und Abstrahlung auf die Hänge miteinbezieht, wie es die steirischen Forscher laut Prettenthaler mittlerweile gemacht haben. „Der beobachtete positive Strahlungseffekt, den wir vor dem Sommer publiziert haben, macht 1,6 Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr aus. Mit den neuen Berechnungen kommen wir immer noch auf eine Tonne CO2 pro Hektar und Jahr.“

Den Vorwurf, wonach die Seilbahnwirtschaft mit der Studie ein gewünschtes Ergebnis bekommen würde, mag Prettenthaler vom Joanneum Research nicht gelten lassen. „Wer immer eine Studie bei uns beauftragt, kann sicher sein, dass wir nach höchsten wissenschaftlichen Kriterien die Antwort geben. Die Meinung des Auftraggebers spielt in der wissenschaftlichen Wahrheitsfindung keine Rolle.“ Im Übrigen plane er seine Ergebnisse in einer Fachzeitschrift mit Peer Review einzureichen – einer weiteren akademischen Auseinandersetzung sollte dann nichts mehr im Wege stehen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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