Einsame Menschen sprechen anders

In der Sprache spiegelt sich die seelische Verfassung, sagen Forscher, z.B. Einsamkeit. Mehr noch: Die sprachlichen Veränderungen zeigen sogar, ob Menschen auch körperlich unter ihrer Situation leiden und daher leichter krank werden.

Widrige Lebensumstände können krank machen. Armut, soziale Isolation oder traumatische Erfahrungen hinterlassen mitunter sogar Spuren in unserem Erbgut, z.B. in den Zellen des Immunsystems. Dadurch steigt die Neigung zu Entzündungen und die Abwehr von Viren und Bakterien wird geschwächt.

Dabei geht es nicht unbedingt um die subjektive Wahrnehmung von Angst oder Stress; vielmehr dürften unbewusste Prozesse entscheidend sein, ob und wie sehr sich ungünstige Umstände körperlich bzw. genetisch auswirken. Die Selbsteinschätzung ermögliche daher oft keinen verlässlichen Befund, schreiben die Forscher um Matthias R. Mehl von der University of Arizona in ihrer kürzlich erschienenen Arbeit.

Änderungen im Sprachgerüst

Auf der Suche nach anderen psychologischen Hinweisen, stieß das Team auf linguistische Untersuchungen. Diese hatten ergeben, dass sich Sprache unter Bedrohung systematisch verändert, z.B. bei Betrug, nach einem Terroranschlag oder in persönlichen Krisen. Betroffene sprechen insgesamt weniger, aber auch anders.

Sie verwenden z.B. andere Funktionswörter. Dazu zählen etwa Artikel, Adverbien und Pronomen - also Wörter, die selbst keinen Inhalt transportieren, aber das sprachliche Gerüst bilden. Ohne bewusst darüber nachzudenken, werden diese mehr oder weniger automatisch produziert - und spiegeln so in gewisser Weise die psychische Verfassung der Sprecher.

Sprache und Gene

Ob solche sprachlichen Veränderungen tatsächlich Hinweise liefern, ob und wie sich äußere Umstände auf den Körper auswirken, haben Mehl und sein Kollegen nun anhand von Audioproben untersucht. Zwei Tage lang wurde der sprachliche Output von 143 erwachsenen englischsprachigen Frauen und Männer in regelmäßigen Abständen aufgezeichnet. Pro Person waren das am Ende fast 160 Audioschnipsel, die nun sprachlich analysiert wurden. Im Fokus standen Funktionswörter wie Artikel, Konjunktionen, Hilfszeitwörter, Adverbien, Präpositionen und Personalpronomen.

Parallel suchten die Forscher nach den - aus früheren Studien bekannten - genetischen Reaktionen auf äußere Widrigkeiten im Immunsystem der Sprecherinnen und Sprecher. Außerdem wurden demographische und Gesundheitsfaktoren (z.B.: Alter, Geschlecht, BMI und Rauchen) erfasst und Befragungen zur psychischen Verfassung durchgeführt. Wenig überraschend fanden die Forscher dabei einen Zusammenhang zwischen der Aktivierung der Gene und manchen körperlichen Faktoren wie z.B. Übergewicht.

Besser als Eigeneinschätzung

Aber auch die Sprachanalyse erwies sich als recht verlässlicher Indikator für genetische Veränderungen im Immunsystem. Zum einen ging es um die Wortmenge: Je weniger jemand spricht, umso schlechter für das Immunsystem. Die systematische Sprachveränderung bei den Funktionswörtern lieferte laut den Forschern aber noch darüber hinausgehende Hinweise.

Die Probanden mit den entsprechenden Veränderungen im Erbgut verwendeten seltener Pronomen in der dritten Person Plural wie z.B. „sie“, dafür häufiger solche in der Einzahl (er, sie, es). Außerdem enthielten die Sprachproben viel mehr unpersönliche Pronomen wie „es“ und Fülladverbien wie „so“, „wirklich“ und „sehr“. Die Zusammenhänge blieben auch aufrecht, als die Blutproben für den Gentest erst eine Woche nach den sprachlichen Aussagen genommen wurden. Das lege nahe, dass es sich um eine chronische und keine akute Reaktion handelt.

Die Sprachanalyse war laut den Forschern zudem treffsicherer als die Befragung der Teilnehmer - offenbar zeigen sie, wie gut oder schlecht es einem unbewusst wirklich geht.

Ursachen der Veränderung

Die psychologischen Hintergründe seien aber weniger klar. Dass Leute, denen es nicht gut geht, weniger sprechen, ist noch gut nachzuvollziehen, schwieriger wird es bei den strukturellen Sprachänderungen. Basierend auf früheren Hypothesen haben die Forscher dazu vorerst nur Vermutungen: Die Verwendung der Pronomen zeigt demnach, worauf die Sprecher ihre Aufmerksamkeit richten.

Jene, die viel von der dritten Person Plural sprechen, orientieren sich womöglich mehr an ihrem sozialen Umfeld und fühlen sich daher auch weniger persönlich bedroht. Die Verwendung von adverbiellen Füllwörtern, wie z.B. „sicherlich“ und „tatsächlich“, könnte hingegen ein Zeichen für innere Aufregung und Anspannung sein.

Noch müssen die Zusammenhänge zwischen Sprache, Psyche und Körper näher untersucht werden, aber langfristig könnte man auf diese Weise jene Menschen identifizieren, die körperlich unter ihren Lebensumständen leiden, hoffen die Studienautoren. Vielleicht wird man bei zukünftigen Psychotests mehr darauf achten, wie etwas gesagt wird, als darauf, was gesagt wird.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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