Ureuropäer kamen über die Balkanroute

Lange haben nur Jäger und Sammler in Europa gelebt. Vor rund 7.500 Jahren kamen dann Bauern aus dem Nahen Osten über die Balkanroute, auch ins heutige Österreich. Die Vermischung der Kulturen war viel stärker als bisher gedacht, zeigen neue Genanalysen.

„Die heutigen Europäer stammen grob gesagt zu einem Drittel von alteingesessenen Jäger- und Sammler-Gesellschaften ab, zu einem Drittel von Bauern, die etwa über die Balkanroute aus dem Nahen Osten kamen, und zu einem Drittel von Steppenbewohnern aus dem Osten Europas“, sagt der Anthropologe Kurt W. Alt von der Danube Private University in Krems.

Gemeinsam mit David Reich von der Harvard Medical School in Boston (USA) und Kollegen hat er das Erbgut von 180 menschlichen Knochenfunden untersucht. Die Knochen stammen aus 8.000 bis 4.000 Jahre alten Fundstätten im Karpatenbecken im heutigen Ungarn, im mitteleuropäischen Tiefland in Deutschland und in Spanien.

Mit mathematischen Modellen berechneten die Forscher, wie sich die dort ansässigen Jäger und Sammler der Jungsteinzeit mit den Neuankömmlingen aus Anatolien mischten.

Fundstätte Balatonszarszo in Ungarn: Neolithische Gebeine, deren DNA untersucht wurde

Tibor Marton, Krisztian Oross

Fundstätte Balatonszarszo in Ungarn: Neolithische Gebeine, deren DNA untersucht wurde

Wenig Mischung in Ungarn, viel in Spanien

„Die Entwicklung in den drei Regionen verlief sehr unterschiedlich“, sagt Alt gegenüber science.ORF.at. „In Ungarn blieben die Bauern aus dem Nahen Osten zwar eine Zeit lang, aber für sie war das eher ein Korridor, und sie haben sich mit der einheimischen Bevölkerung kaum gemischt.“

In Spanien war das Gegenteil der Fall: Hier verlief die Mischung am schnellsten, was wohl an der Geografie lag. Auf der kargen und gebirgigen iberischen Halbinsel gibt es nur relativ wenige Gegenden, die sich gut für Ackerbau und Viehzucht eignen. Dadurch kamen sich die beiden Bevölkerungen schneller – und fruchtbarer – näher.

Zwei Etappen in Mitteleuropa

Mitteleuropa steht zwischen diesen beiden Entwicklungen: Als die Bauern hier vor ca. 7.000 Jahren eintrafen, gab es kaum Vermischung. „Die ansässigen Jäger und Sammler haben vermutlich gesehen, dass Landwirtschaft sehr mühsam ist, und sich an die Küsten und nach Skandinavien zurückgezogen“, sagt Alt.

Rund 2.000 Jahre später war das laut dem Anthropologen anders: „Die Nachkommen der Jäger und Sammler waren mittlerweile selbst Bauern geworden, und die migrierten zurück nach Mitteleuropa.“ Aus dieser Zeit gebe es Hinweise auf gewalttätige Auseinandersetzungen, aber vor allem mischten sie sich mit den Nachfahren der anatolischen Bauern. Zunächst nur spärlich, fanden sich mit der Zeit bei ihnen immer mehr Spuren des Erbguts der früheren Jäger und Sammler.

Entnahme einer Probe aus einem steinzeitlichen Schädel im Labor

Balázs G. Mende

Entnahme einer Probe aus einem steinzeitlichen Schädel im Labor

Über den Balkan auch nach Österreich

Die Forscher konnten in ihrer Studie auch die Wanderungsbewegungen nachzeichnen: Die Bevölkerungen im westlichen Teil des Karpatenbeckens und Deutschlands ähneln einander genetisch so sehr, dass man die Steinzeitbauern aus Ungarn als Ahnen jener in Mitteleuropa bezeichnen könne, so Alt. Die Menschen sind demnach vom Nahen Osten über die Balkanroute ins heutige Ungarn gewandert und kamen über Österreich nach Deutschland.

„Natürlich sind immer auch welche von diesem Korridor abgezweigt und haben sich zum Beispiel in Österreich oder Tschechien niedergelassen“, sagte er. Die iberische Halbinsel wurde hingegen aus dem Süden über die Mittelmeerroute über Italien und Südfrankreich besiedelt, vielleicht auch aus Nordafrika.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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