Klimaflüchtlinge im 19. Jahrhundert
Donald Trump und Henry John Heinz, der Vater der bekannten Ketchup-Marke, - beide sind Nachfahren deutscher Auswanderer, die im 19. Jahrhundert ihr Glück in den USA suchten. Aus ganz Europa machten sich damals Menschen auf den Weg nach Übersee, darunter besonders viele Deutsche - im Lauf des Jahrhunderts waren es über fünf Millionen.
public domain
1815 endeten die Napoleonischen Kriege, die Leibeigenschaft von Bauern wurde abgeschafft und gegen Mitte des Jahrhunderts erfasste die bürgerliche Revolution große Teile Mitteleuropas. Die Bevölkerung wuchs, genauso wie die Armut - Gründe, die Heimat für immer zu verlassen, gab es also genug. Hinzu kam, dass die USA offensiv um Einwanderer warb. Ein Faktor, der bisher kaum beachtet wurde, könnte aber auch das Klima bzw. das Wetter gewesen sein, wie die Forscher um Rüdiger Glaser von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg nun am Beispiel des deutschen Bundeslands Baden-Württemberg untersucht haben.
Ernteausfälle, hohe Preise
Zu Beginn des Jahrhunderts waren noch die Folgen der auslaufende Kleinen Eiszeit zu spüren. Die Gletscher waren gewachsen, die Winter eisig und die Sommer kühl. Danach folgte eine recht instabile klimatische Phase mit großen Unterschieden zwischen den Jahren und Extremwetterereignissen wie Fluten, Frost oder Dürren.
Die Studie
„Climate of migration? How climate triggered migration from southwest Germany to North America during the 19th century“, Climate of the Past, 21.11.2017
Die Forscher analysierten Migrations- und Bevölkerungsdaten, Wetter- und Klimaaufzeichnungen sowie die Ernteerträge aus der Region. Sie identifizierten sechs Auswanderungswellen, drei davon waren besonders ausgeprägt: von 1815 bis 1817, von 1850 bis 1855 und von 1881 bis 1883.
Die erste Welle rollte kurz nach dem Ausbruch des Tambora auf Indonesien im Jahr 1815. Weltweit sanken die Temperaturen, da die Vulkanasche den Himmel trübte. 1816 - das „Jahr ohne Sommer“ - war nass und kalt. Es kam zu verheerenden Ernteausfällen und Hunger. Laut den Forschern waren die widrigen klimatischen Umstände damals tatsächlich der Hauptgrund für die Emigration. Mehr als 22.600 Menschen haben Württemberg in diesen zwei Jahren verlassen, um in die USA zu gehen.
Illustration Harper’s Weekly 1874, public domain
Eine der kleineren Auswanderungswellen - von 1845 bis 1847 - dürfte ebenfalls vor allem durch Klimaveränderungen ausgelöst worden sein. Mehr als 16.244 haben sich in diesem Zeitraum aus Württemberg verabschiedet. Heiße und trockene Sommer hatten zu Ernteausfällen und steigenden Preisen geführt. Eine Seuche bedrohte die Kartoffelernte.
Prämien und Familiennachzug
Bei anderen Auswanderungswellen spielte das Klima hingegen eine geringere Rolle, so die Forscher, etwa bei der allergrößten Mitte des Jahrhunderts: Über 120.000 Menschen haben die Baden-Württemberg von 1850 bis 1855 verlassen. Zwar waren die Ernteerträge auch damals mäßig, die Preise wurden aber vor allem aus politischen Gründen in die Höhe getrieben. Außerdem zahlte Baden den Allerärmsten eine Prämie, wenn sie auswanderten.
Forscher-Video zur Studie
Die letzte große Welle von 1880 bis 1886 scheint am wenigsten mit Klimaschwankungen zu tun zu haben. Der Lebensmittelmarkt war nun schon besser vernetzt und regionale Ernteausfälle daher nicht mehr existenzbedrohend. Straßen und Häuser wurden errichtet, neue Jobs entstanden. Es gab also immer weniger Gründe auszuwandern. Dennoch verließen in diesen Jahren noch einmal über 70.000 Deutsche den Landstrich. Vermutlich war die „Neue Welt“ einfach immer noch sehr attraktiv. Eines der Hauptmotive war mit Sicherheit der Familiennachzug zu Verwandten, die in Übersee bereits erfolgreich Fuß gefasst hatten.
Über das ganze Jahrhundert gerechnet lassen sich laut den Forschern 20 bis 30 Prozent der Migration von Baden-Württemberg in die USA durch das Klima erklären. Neben fehlenden ökonomischen Perspektiven, sozialem Druck, religiösen und politischen Konflikten, Krieg und Familienbanden ist es jedenfalls ein weiteres wichtiges Motiv, die Heimat hinter sich zu lassen.
Eva Obermüller, science.ORF.at