Wissenschaft: Teilzeit als Karrierenachteil

Ist ein „familienfreundlicher“ Arbeitgeber, der Teilzeitmodelle anbietet, auch ein „frauenfreundlicher“? Wenn es um eine wissenschaftliche Karriere geht, nicht unbedingt, meint man an der Medizinuni Wien, wo man sich die Situation der Medizinerinnen angesehen hat.

Schichtdienst im Krankenhaus, Lehrveranstaltungen halten und forschen – diesen Aufgaben widmen sich Wissenschaftlerinnen an der Medizinischen Universität Wien. Hat man Kinder zu versorgen und arbeitet deshalb in Teilzeit, ist es oft die Forschung, die auf der Strecke bleibt, und damit auch die wissenschaftliche Karriere.

Tagung

„Warum (noch) Frauen fördern?" Dieser Frage widmet sich eine Tagung von 23. bis 24. November 2017 an der Wirtschaftsuniversität Wien. Im Fokus stehen Probleme in der Praxis der Frauenförderung.

Um die Kinder kümmern sich nach wie vor meist die Frauen, obwohl sich 90 Prozent der Medizinstudentinnen und 70 Prozent der Studenten eine faire Arbeitsteilung in der Partnerschaft wünschen, erklärt Eva Reichel, Sozioökonomin und Referentin für Gender Mainstreaming und Diversity an der MedUni Wien: „Es gibt auch bei Männern den Wunsch, stärker in die Kinderbetreuung involviert zu sein. In der Praxis wird es aber selten umgesetzt.“ Immer mehr Männer gehen zwar in Karenz, allerdings kürzer als Frauen. Und der Karriereknick komme oft nicht mit der Karenz, sondern mit der Elternteilzeit. In Teilzeit sind an der MedUni 40 Prozent der Mütter von Kindern im Kindergartenalter, aber nur 13 Prozent der Väter.

Stereotype Arbeitsteilung fair empfunden

Woran liegt es, dass der Wunsch nach geteilter Kinderbetreuung nicht umgesetzt wird? Eva Reichel ist dieser Frage nachgegangen. Während die oben genannten Daten alle Studierenden beziehungsweise Forschenden an der Universität betreffen, hat sie mit zehn Wissenschaftlerinnen Interviews geführt, um die Teilzeitschere zu verstehen. Die interviewten Frauen arbeiten sowohl Teilzeit als auch Vollzeit, haben mindestens ein Kind und leben in einer Partnerschaft oder Ehe mit dessen Vater.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 23.11., 13:55 Uhr.

Eine ungleiche Arbeitsteilung zu Hause werde von den befragten Medizinerinnen als gerechtfertigt wahrgenommen, so Reichel: „Häufig fällt dieser Satz: ,Er wäre sehr gerne in Karenz gegangen, aber...‘ Dann wird die berufliche Situation des Mannes angeführt, die gerade zu diesem Zeitpunkt ungünstig war.“ Die berufliche Situation der Frau spielt eine kleinere Rolle, obwohl diese in der Wissenschaft oft prekär ist. Auffallend, so Reichel, sei, dass es immer als individuelle Ausnahme verstanden werde, dass sich dann letztlich doch die Frau um die Kinder kümmere: „Solche Geschichten finden wir aber in allen unseren Interviews. Die Geschlechterstereotype wirken also nach wie vor, die ungleiche Arbeitsteilung wird aber immer mit Verweis auf andere Gründe rationalisiert.“

Die „klassische“ Arbeitsteilung zu Hause werde von den Interviewpartnerinnen als fair wahrgenommen, nicht aber die beruflichen Nachteile, die sich daraus ergeben: Es werde dann eher der Wunsch nach weniger Leistungsanforderung als nach weniger Aufgaben zu Hause geäußert.

Volle Leistung ohne Betreuungspflichten

„Teilzeitregelungen ermöglichen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nicht aber die Vereinbarkeit von Familie und Karriere“, sagt Reichel. Ändern sich die Rollenbilder nicht, könnten Teilzeitangebote sogar karrierehemmend für Frauen wirken. „Bei den Professuren haben wir einen Frauenanteil von 20 Prozent. Und je höher die Position, desto eher sind die wenigen Frauen kinderlos. Bei Männern sind Kinder hingegen kein Karrierenachteil“, sagt Reichel. Ändern könne sich das nur, wenn auch Männer Vereinbarkeitsangebote wie Teilzeit in Anspruch nehmen.

Um „familienfreundlich“ zu sein, ohne die Gleichstellung aus dem Blick zu verlieren, müsse der wissenschaftliche Betrieb auch die eigenen Leistungsanforderungen hinterfragen, so Reichels Fazit: „Die Medizin ist an einem klassisch männlichen Lebensentwurf orientiert, in dem Betreuungspflichten keinen Platz haben. Eine Karriere in der Wissenschaft besteht sehr lange aus befristeten Verträgen und wichtige Jahre in der Qualifizierung für den Beruf fallen mit den Jahren der Familiengründung zusammen.“

Und die Anforderungen nehmen zu: „Es werden immer mehr Publikationen verlangt und inzwischen wird auch erwartet, dass man eine Zeit lang im Ausland war.“ Von Männern werde unausgesprochen erwartet, dass sie die Betreuung der eigenen Kinder nicht selbst übernehmen, um diesen Anforderungen zu entsprechen. „Männer stoßen auf mehr Widerstand, wenn sie länger in Karenz oder in Teilzeit gehen wollen.“ Frauen würden dagegen von Anfang an weniger gefördert werden, weil erwartet wird, dass sie irgendwann in Karenz und Teilzeit gehen.

Bis sich an den gesellschaftlichen und akademischen Rahmenbedingungen etwas ändere, müsse die Universität kleine Maßnahmen setzen, wie etwa genügend Plätze im Ganztageskindergarten bereitzustellen und Männer dabei zu unterstützen, in Karenz und Elternteilzeit zu gehen.

Katharina Gruber, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu dem Thema: