Da Vincis anatomische Studien inspirieren Herzchirurgen

Da Vincis Werke zählen zu den bedeutendsten der Geschichte, nicht nur in der Kunst, auch in der Wissenschaft. Zu Lebzeiten wurden seine präzisen anatomischen Studien nicht anerkannt. Heute beeinflussen sie die moderne Medizin - wie im Fall eines britischen Herzchirurgen.

Als der 1452 geborene Leonardo da Vinci um die 50 Jahre alt ist, gelingt ihm etwas Außergewöhnliches: Er erfährt, dass in einem Spital in Florenz regelmäßig Leichenöffnungen stattfinden. Die Toten sind Hingerichtete, die kein Begräbnis erhalten. Leonardo kann an diesen Sektionen teilnehmen und bald auch selbst Leichen sezieren. In den nächsten Jahren öffnet er die Körper von mehr als 30 Männer und Frauen, um sie systematisch zu untersuchen. Die so entstandenen anatomischen Arbeiten waren gestern Abend Thema bei der ersten Josephinum-Lecture der Medizinischen Universität Wien, in deren Mittelpunkt das „Herz“ stand.

„Entdecker“ der Arteriosklerose

Da Vincis anatomisches Werk umfasst rund 200 Blätter. Die Exaktheit dieser Zeichnungen blieb Jahrhunderte lang unerreicht. Der britische Chirurg Francis Wells hat jene anatomischen Zeichnungen und Schlussfolgerungen analysiert, die das Herz und seine Funktionsweise zeigen und in seinem Buch „The Heart of Leonardo“ festgehalten. Wells argumentiert, dass die Erkenntnisse des Florentiner Renaissance-Mann seiner Zeit weit voraus waren.

Modell eines Herzens (Josephinum)

Josephinum Bene Croy

Wachsmodell eines Herzens (Josephinum - Sammlungen der Medizinischen Universität Wien)

Anders als die gängige Lehrmeinung ging Da Vinci vom Herz als einem Muskel aus, der das Blut nicht erwärmt, sondern durch den Körper pumpt. Er erkannte auch, dass sich die Herzkranzgefäße im Lauf des Lebens verändern. Während sie in der Jugend gerade sind, krümmen sie sich im Alter und verdicken. Damit beschrieb da Vinci als erster die Arteriosklerose, als die Gefäßverengung durch die Ablagerung von Plaques.

Keine Resonanz zu Lebzeiten

Die Exaktheit da Vincis anatomischer Arbeiten wurde zu Lebzeiten jedoch nicht gefeiert. Seine Skizzen und Schriften wurden erst Jahrhunderte nach seinem Tod 1519 publiziert. Doch Francis Wells geht ohnehin nicht davon aus, dass die Thesen des heute gefeierten Genies damals einen Einfluss auf andere Gelehrte gehabt hätten.

„Dieses Wissen hatte keinerlei Nutzen für niemanden, denn es gab keine Therapien, keine Operationsmethoden, die Menschen konnten diese Informationen einfach nicht verwenden“, so Wells. Deswegen würde da Vinci heute von vielen nicht als Mediziner oder Anatom betrachtet, sondern als Naturphilosoph.

Einfluss auf Herzchirurgie

Einige von Leonardo da Vincis Entdeckungen haben zumindest heute Einfluss auf die Medizin. Der Künstler und Wissenschaftler arbeitete in der Renaissance auch als Ingenieur, unter anderem für die einflussreiche Familie Borgia. Ausgehend von hydraulischen Beobachtungen beim Bau von Brunnen oder bei der Planung von Flussumleitungen, analysierte er den Blutkreislauf.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 17.1. um 13.55.

Er entdeckte, dass das Herz vier Kammern hat. Er konnte auch zeigen, dass die Strömungen im Blutfluss, die in der Hauptschlagader entstehen, dem Herzen dabei helfen, die Herzklappen zu schließen. Diese Art zu denken, habe auch Francis Wells Zugang zur Operation der Mitralklappe beeinflusst.

Operationsmethode à la Leonardo

Angeleitet von da Vincis Überlegungen habe der Herzchirurg die Mitralklappe nicht mehr nur als Herzklappe gesehen, die sich öffnet und schließt. „Die Mitralklappe ist eigentlich ein Kraftfeld, das das Blut aus dem Herzen pumpt“, so Wells. Wenn die Mitralklappe nicht richtig arbeitet, dann gelingt es dem Herzen nicht, das gesamte Blut rauszupumpen.

Die Mitralklappe wird dann zu einer Art Schwingtüre, die sich in beide Richtungen öffnet. Es kommt zu einem Rückfluss, der das Herz dazu bringt, sich noch mehr anzustrengen, um den Kreislauf zu erhalten. Ihrer eigentlichen Aufgabe, den Rückfluss des Blutes aus der linken Herzkammer in den linken Vorhof zu verhindern, ist dann gestört. Doch eine Operation, bei der der Durchmesser der Klappenöffnung verringert wird, führt nicht immer zur gewünschten Verbesserung, da weniger Blut durchgepumpt werden kann. Wells hat deswegen nach einer anderen Methode gesucht.

Schon da Vinci erkannte vor 500 Jahren, dass die Öffnung der Mitralklappe für den Kreislauf besonders wichtig ist. Davon inspiriert, versuchte Francis Wells eine Methode zu finden, bei der der Durchmesser der Öffnung nicht geschmälert wird und zwar mit Erfolg. „Es war seine Art zu denken, die diese Methode beeinflusst hat“, so Wells. So könne die Klappe effizienter arbeiten und die Betroffenen könnten größere Anstrengungen aushalten.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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