Andere Persönlichkeit in zehn Jahren

Menschen verändern sich mit den Jahren nicht nur körperlich, auch die Persönlichkeit entwickelt sich. Eine Studie zeigt: Charakterzüge sind nicht so stabil wie oft angenommen. Etwa alle zehn Jahre verändert man sich zumindest ein bisschen.

Im Laufe des Lebens ruhen wir immer mehr in uns selbst und geben weniger auf die Meinung anderer, so das Ergebnis einer internationalen, noch nicht veröffentlichten Studie. Tendenziell ziehen wir uns aber auch mehr zurück, sind weniger offen für Neues und werden etwas nachlässiger und unorganisierter, und zwar statistisch signifikant. Das zeigt der Vergleich von mehreren Langzeitstudien aus Europa und den USA, wie ihn einige US-Forscher nun unternommen haben. „Wir analysierten die Daten von rund 50.000 Studienteilnehmern und verglichen dann, wo es Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede gab“, erklärt die Studienleiterin Eileen Graham.

Preprint

A Coordinated Analysis of Big-Five Trait Change Across 14 Longitudinal Studies, PsyArXiv Preprints.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 9.2. um 13:55.

Kleine Veränderungen sind nicht trivial

Demnach verändert sich der Durchschnitt zwar nicht in großen Sprüngen, sondern etwa alle zehn Jahre ein bisschen. Dennoch seien die Entwicklungen keineswegs trivial, meint die Psychologin von der Northwestern Universität. „Auch wenn man im Laufe seines Lebens beispielsweise nur etwas weniger extrovertiert - also weniger kontaktfreudig - wird, verändert das, wie man mit anderen umgeht.“

Extraversion gehört neben Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Neurotizismus zu den sogenannten „Big Five“; jenen fünf Merkmalen, nach denen Psychologen die Persönlichkeit seit den 1990er Jahren einteilen. „Die meisten Studien unserer Analyse haben alle Persönlichkeitsmerkmale fünf, sechs Mal erhoben. Manche im Abstand von drei Jahren, andere haben die Tests hingegen alle zehn Jahre wiederholt. Auf diese Weise haben wir einen sehr umfangreichen Datensatz erhalten“, erklärt Graham.

Individuelle Ausreißer

Dass sich demzufolge alle Menschen tendenziell gleich entwickeln, stimmt im Detail betrachtet freilich nicht ganz. „Natürlich gibt es jene, die sich in eine ganz andere Richtung verändern als der rechnerische Durchschnitt.“ Es zeigt sich sogar, dass einige im letzten Lebensabschnitt - etwa im Alter von 70 Jahren - eine Kehrtwende hinlegen und wieder ängstlicher sowie neurotischer werden, erklärt Graham. Warum das so ist, ist unklar. „Vielleicht liegt es daran, dass man sich seiner Sterblichkeit bewusst wird. Es könnte auch mit alterstypischen Krankheiten zusammenhängen“, spekuliert die Psychologin.

Gewisse Unterschiede scheint es zwischen Europäern und US-Amerikanern zu geben. Während US-Amerikaner stetig weniger extrovertiert werden, verläuft es bei den Europäern nicht so gleichmäßig - bisweilen gibt es leichte Ausreißer nach oben wie unten, so Graham. Was der Grund dafür ist, lässt sich auch hier nur spekulieren.

„Unter Umständen hat es damit zu tun, dass in den USA Extraversion gesellschaftlich erwünscht wird. Es gilt als ideal. Deshalb will man womöglich vor allem in jüngeren Jahren hier gut abschneiden. Im Alter legen die Teilnehmer wiederum weniger Wert auf die Meinung anderer und beantworten die Fragen entsprechend ihrer wahren Persönlichkeit. In Europa ist Extraversion vielleicht nicht ganz so wichtig“, so Graham.

Big „Four“

Ein einziges Merkmal verändert sich hingegen in keiner der Studien merklich: die Verträglichkeit. Zwar gibt es Menschen, die ein klein wenig verträglicher werden, also etwas mehr Rücksicht auf andere nehmen und empathischer werden. Andere entwickeln sich ein klein wenig ins Gegenteil - keiner aber verändert sich hier laut den Daten signifikant. „Wir können davon ausgehen, dass Menschen in dieser Hinsicht einigermaßen gleich bleiben.“

Nun wollen Graham und ihre Kollegen den Datensatz noch genauer untersuchen und herausfinden, warum sich Menschen auf eine bestimmte Weise verändern - vor allem, wenn sie von der Norm abrücken. Dabei hoffen die Psychologen weitere Muster zu erkennen, wonach die Persönlichkeit durch bestimmte soziale Rollen sowie durch gesundheitsbewusstes Verhalten entscheidend beeinflusst wird. „Wir wollen z.B. herausfinden, ob sich Menschen mit Familie anders entwickeln oder welche Rolle das Geschlecht spielt.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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