Auch Buddhisten fürchten den Tod

Eigentlich sollten Buddhisten weniger Angst vor dem Tod haben. Denn das Selbst ist für Gläubige nicht mehr als eine Illusion. Ein Studie zeigt: Das Gegenteil ist der Fall. Buddhistische Mönche fürchten den Tod mehr als Christen, Hindus und Ungläubige.

Sterben müssen wir alle, so viel ist gewiss. Damit hört das Selbst auf zu existieren, auch wenn das schwer vorstellbar und für die meisten beängstigend ist. Religionen versuchen der ausweglosen Endgültigkeit den Schrecken zu nehmen, indem sie - wie etwa Christen - an eine unsterbliche Seele glauben, die im Jenseits weiterlebt.

Die Studie

Death and the Self, Cognitive Science, 22.1.2018

Eine unsterbliche Seele gibt es auch im Hinduismus; allerdings braucht sie einen neuen Körper, in dem sie wiedergeboren wird. Eine ganze andere Idee propagiert der Buddhismus. Er glaubt grundsätzlich nicht an ein stabiles Ich, das von Geburt bis zum Ende dasselbe bleibt. Deswegen müsse man auch keine Angst vor dem Tod haben. Das Selbst sei eine Illusion, in Wahrheit alles im Fluss.

Vereinzelt taucht diese Idee auch bei westlichen Denkern auf. Der schottische Philosoph David Hume zweifelte schon im 18. Jahrhundert am Konzept einer persönlichen Identität, genauso wie der erst vor einem Jahr verstorbene Derek Parfit. Wenn es keine Kontinuität der menschlichen Erfahrungen gibt, so Parfit, müsse man auch den Tod nicht fürchten. Denn das Subjekt, das stirbt, ist ein anderes als jenes, das zu Lebzeiten davor Angst hat. Das ist nach Ansicht des britischen Moralphilosophen nur einer der Vorteile dieser Weltsicht. Wenn man sich nicht egozentrisch auf seine Identität konzentriert, öffnet das außerdem den Blick für andere Menschen.

Instabiles Selbst

Aber lässt sich die Todesangst tatsächlich mit Weltanschauungen in Schach halten? Das war eine der Fragen, die ein Team um den Philosophen Shaun Nicols von der University of Arizona nun mit einer Studie beantworten wollte. Dafür wurden weltweit Menschen befragt: hunderte Mönche, die nach der Lehre des tibetischen Buddhismus im indischen Exil leben, außerdem Laienbuddhisten, Hindus, US-amerikanische Christen und Atheisten.

Zwei Erhebungen widmeten sich der Vorstellung des Ichs. Wie erwartet war die Identität in den Augen der buddhistischen Mönche nichts Kontinuierliches bzw. Stabiles. Den stärksten Glauben an ein unveränderliches „Kernselbst“ hatten die US-Amerikaner, egal ob gläubig oder konfessionslos.

Angst vor Selbst-Verlust

In den nächsten Fragerunden ging es dann konkret um die Angst vor dem Sterben, besonders um die Angst vor dem Verlust des Selbst bzw. der Persönlichkeit durch den Tod. Zur großen Überraschung der Forscher war diese Furcht bei den Mönchen am stärksten ausgeprägt.

Ähnlich die Ergebnisse des nächsten Gedankenexperiments: Die Teilnehmer mussten entscheiden, ob sie todkrank ihr eigenes Leben mit einer Tablette um einige Monate verlängern oder die Pille lieber einem Fremden überlassen würden, der dadurch sogar Jahre länger leben könnte. Besonders die Mönche scheinen am eigenen Leben zu hängen. Ganze 72 Prozent hätten die Medizin für sich selbst verwendet, bei den ungläubigen US-Amerikanern (am anderen Ende der Skala) waren es hingegen nur 31 Prozent.

Warum Mönche am Leben hängen

Aber wie lassen sich diese unerwarteten Ergebnisse erklären? Es könnte natürlich sein, dass die Mönche ehrlicher geantwortet haben als die anderen Befragten. Allerdings sei es wenig wahrscheinlich, dass Hindus, Christen und Atheisten allesamt unehrlich sind. Vielleicht halten die Buddhisten ihr eigenes Leben für wertvoller als das von anderen. Auch das ist in den Augen der Forscher nicht wirklich plausibel.

Am wahrscheinlichsten sei ein paradoxer Effekt als Folge der buddhistischen Lehre, der im Widerspruch zwischen inneren Ängsten und äußeren Haltungen liegt. Über ihre Erinnerungen und Reflexionen haben die Mönche vermutlich ein ebenso starkes Gefühl der Identität wie die meisten anderen Menschen auch. Ein Blick in die Literatur des tibetischen Buddhismus zeige, wie wichtig Autobiographien und damit persönliche Erfahrungen und Erlebnisse für die Verbreitung der Ideen sind.

Der Eindruck von der Kontinuität eines biologischen Lebens könnte der ideologischen Überzeugung vom illusorischen Selbst entgegenstehen, schreiben die Autoren. Im Gegensatz zu Christen oder Hindus - die darauf hoffen können, dass ihre Seele nach dem Tod irgendwie weiterlebt - bedeutet der Tod für Buddhisten dann das endgültige Aus, was wiederum ihre größere Angst erklären könnte.

Tatsächlich machen traditionelle Buddhisten einen Unterschied zwischen intuitiver und philosophischer Selbstreflexion. Erstere lasse sich nur durch ausgiebige Meditation abschütteln. Das sei auch eine der Einschränkungen der Studie, erklären die Forscher. Denn die teilnehmenden Mönche meditierten zwar täglich, waren aber keine Meditierenden mit langjähriger Erfahrung.

Eva Obermüller, science.ORF.at

Mehr zum Thema