Schmerzmittel: Sprung ins kalte Wasser

Ein paar Schwimmzüge in eiskaltem Wasser und alle Nervenschmerzen, unter denen ein junger Mann wochenlang gelitten hatte, waren plötzlich wie weggeblasen - davon berichten britische Mediziner. Der Einzelfall könnte ein Vorbild für Schmerztherapien sein.

Der 28 Jahre alte, sportliche Mann hatte sich einer endoskopischen transthorakalen Sympathektomie unterzogen. Diese Operation wird als äußerste Maßnahme bei starkem Schwitzen oder krankhaftem Erröten durchgeführt. Dabei werden zwei Nervenstränge des sympathischen Nervensystems auf Brusthöhe, rechts und links neben der Wirbelsäule abgeklemmt.

Bei dem minimal-invasiven Eingriff gab es keinerlei Komplikationen, alles verlief nach Plan, nur die starken Nervenschmerzen im Brust- und Rückenbereich wollten nach der Operation nicht mehr abklingen. Zur Behandlung erhielt der Patient Schmerzmittel und eine Physiotherapie. Letztere zeigte keinerlei Wirkung, verschlimmerte mitunter sogar den Zustand. Die Medikamente brachte nur eine leichte Linderung. Die Lebensqualität war merklich beeinträchtigt.

Sprung ins Eiswasser

In seiner Verzweiflung folgte der frühere Hobbytriathlet einem ungewöhnlichen Impuls. Um sich von den Schmerzen abzulenken, fuhr er etwa zehn Wochen nach der Operation an eine Küste, die er von einem Wettkampf kannte, sprang von den steilen Klippen und schwamm einige Tempi im eiskalten Wasser. Mindestens 60 Sekunden lang muss man dort schwimmen, um wieder ans sichere Ufer zu kommen.

Die Ärzte wusste nichts von der Radikalkur, waren dafür aber umso erstaunter über ihre Wirkung: Eigentlich hatte der Patienten mit starken Schmerzen gerechnet, sobald er die kräftige Schwimmbewegungen ausführen würde. Das Gegenteil war der Fall: Die Schmerzen waren wie weggeblasen. Und - was die Mediziner fast noch mehr überraschte - sie kamen seit damals nicht mehr zurück. Der junge Mann konnte endlich wieder so viel Sport betreiben wie vor der Operation und musste keine Medikamente mehr nehmen.

Wie die Mediziner von der University of Cambridge und der University of East Anglia in ihrer nun dazu erschienenen Studie schreiben, gebe es keinen Beweis, dass der Mann tatsächlich von seinem Sprung ins kalten Nass geheilt worden ist, aber die zeitliche Koinzidenz und fehlende andere Erklärungen legen einen ursächlichen Zusammenhang nahe.

Wirkung auf vielen Ebenen

Warum die Schwimmzüge geholfen haben, wissen die Forscher nicht; sie haben aber ein paar Vermutungen. Das sympathische Nervensystem könnte auf den Schock beim Eintauchen ins eiskalte Wasser reagiert haben. Plötzliche Kälte reduziert außerdem die Durchblutung des Gehirns und kann so das Bewusstsein verändern - vielleicht habe das auch die Schmerzwahrnehmung gedämpft. Zudem muss der Körper beim Schwimmen eine Reihe anderer Reize verarbeiten, sodass für den Schmerz womöglich keine Kapazitäten bleiben.

Dass der Schmerz nach der intensiven körperlichen Erfahrung auch nicht mehr zurückkam, könnte laut den Medizinern daran liegen, dass das Schockerlebnis einen negativen Kreislauf durchbrochen hat. Denn durch die Schmerzen war der Mann in seiner Mobilität beeinträchtigt, die Einschränkung wiederum verstärkte die Schmerzen. Die plötzliche Heilung hatte so vermutlich auch eine positive Wirkung auf die Psyche. Dass die Schmerzen nach dem Schwimmen für immer verschwunden sind, könnte aber auch handfeste körperliche Gründe haben, durch die kräftigen Schwimmbewegungen könnten sich postoperative „Verklebungen“ in den Nerven gelöst haben.

Die Studienautoren betonen, dass es sich bei der Heilung natürlich um einen Einzelfall handle und man weitere Evidenzen sammeln müsse. Aber die Fallgeschichte könnte einen Anstoß für neue Behandlungswege liefern. Eine derartige Schocktherapie sei vielleicht nicht für jeden passend, aber für so bewegungs- und erlebnisorientierte Patienten wie diesen jungen Mann sind solche Interventionen vielleicht geeigneter als langwierige Physiotherapien.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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