Mein Bruder, die Maschine

Der japanische Robotiker Hiroshi Ishiguro hat sich einen Doppelgänger geschaffen: Der Roboter Geminoid sieht genauso aus wie sein Schöpfer - und vertritt ihn bisweilen sogar bei Vorlesungen. Wie fühlt es sich an, einen Klon zu besitzen?

Auf den ersten Blick könnte man Hiroshi Ishiguro auch für einen Popstar halten oder für einen Künstler. Schwarze Lederjacke, schwarzes Hemd, schwarze Hose. Dazu eine dunkel getönte Brille. Dass der japanische Forscher immer in Schwarz auftritt, hat wohl auch mit dem intendierten Wiedererkennungseffekt zu tun. Denn es gibt da noch einen anderen schwarz gekleideten Hiroshi Ishiguro. Ishiguro, die Maschine.

Geminoid heißt dieser Roboter - was so viel bedeutet wie: Doppelgänger-Android. Beim Kongress für Roboterphilosophie an der Uni Wien, wo Ishiguro gestern einen Vortrag hielt, ist der Doppelgänger nicht dabei. Der Transport wäre zu aufwändig gewesen. So findet das Interview am Uni-Campus des Alten AKH nur mit einem der beiden Zwillinge statt. Mit Ishiguro, dem Original.

Robotiker Hiroshi Ishiguro beim Interview

Czepel/ORF

Hiroshi Ishiguro an der Uni Wien

science.ORF.at: Herr Ishiguro, wie begann das alles? Wie kamen sie auf die Idee, sich einen maschinellen Doppelgänger zu bauen?

Hiroshi Ishiguro: Der erste Android, den ich gebaut habe, war weiblich. Also keine Kopie von mir. Bei Geminoid hatte ich zwei Ziele. Da gab es zunächst den technologischen Aspekt: Ich wollte meine Präsenz durch einen ferngesteuerten Androiden an einen anderen Ort verfrachten. Das war auch recht erfolgreich: Ich akzeptiere den Körper des Androiden als meinen eigenen und halte damit Vorträge in fremden Ländern. Der zweite Motivation war: Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, von einer Kopie meiner selbst inspiriert zu werden. Wir Menschen haben kein objektives Bild von uns selbst. Meine Stimme klingt im Kopf ganz anders als auf einer Tonaufnahme. Und wenn ich mich im Spiegel betrachte, dann ist das Bild spiegelverkehrt - das bin also auch nicht ich. Um unser Ich zu finden, müssen wir mit anderen Menschen in Kontakt treten. Auch mit Robotern. Roboter sind der Spiegel unserer Menschlichkeit.

science.ORF.at: Hat Geminoid Ihre Selbstwahrnehmung verändert?

Hiroshi Ishiguro: Nein, gar nicht. Er ist wie ein Zwillingsbruder für mich. Aber er ist noch nicht perfekt. Geminoid hat zwar meine Präsenz, aber sie ist ein bisschen schwächer, es fehlt noch etwas.

science.ORF.at: Was war, technisch gesehen, die schwierigste Aufgabe?

Hiroshi Ishiguro: Die Haut so weich und menschenähnlich hinzubekommen, war sehr schwierig. Das mechanische Design ebenfalls. Am schwierigsten war die Sprache. Da gibt es noch viel zu tun.

Geminoid kann sich bewegen, Gefühle mimisch ausdrücken und sogar sprechen, erzählt Ishiguro. Letzteres auf zwei Arten: Wenn Ishiguro außer Landes ist, hält er manchmal dennoch zu Hause Vorlesungen. Dann steht der Roboter als Stellvertreter auf dem Podium und der Forscher spricht, verbunden über das Internet, durch den Körper der Maschine. Geminoid ist mit Hilfe künstlicher Intelligenz auch fähig, sich selbständig zu äußern. Doch hier stößt die Wissenschaft noch an ihre Grenzen. Von einer Konversation, die man der zwischenmenschlichen als ebenbürtig bezeichnen würde, sind die Forscher noch weit entfernt. Wenn Ishiguro von seinem Doppelgänger spricht, sagt er übrigens immer „er“, nicht „es“.

Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtete heute auch das Ö1-Mittagsjournal, 16.2.2018, 12.00 Uhr.

science.ORF.at: In Japan scheinen soziale Roboter viel stärker akzeptiert zu werden als in westlichen Ländern. Warum ist das so?

Hiroshi Ishiguro: Vermutlich, weil wir hier eine lange Tradition besitzen, wir sind seit Jahrzehnten an Roboter gewöhnt. Das ist nicht nur bei Industrierobotern so, Japan befindet sich auch in der Elektronik und bei Heimrobotern an der Front der Entwicklung. Die Technologie ist bei uns positiv besetzt.

science.ORF.at: Das ist der technologische Aspekt. Gibt es auch einen kulturellen?

Hiroshi Ishiguro: Wir haben eine sehr homogene Gesellschaft mit nur wenigen Einwanderern, Japan ist eine Insel, auf der seit 2.000 Jahren die gleiche Kaiserfamilie regiert. Wir achten nicht so sehr auf das Spezielle von Individuen, Japan ist wie eine große Familie. Und in einer Familie würde man auch Katzen und Hunde als Mitglieder akzeptieren - ähnliches gilt wohl auch für Roboter.

science.ORF.at: Sie haben einmal gesagt: „In Japan sehen wir so etwas wie Seele überall. Es ist eine sehr christliche Vorstellung, dass nur Menschen sie besitzen.“ Also auch Roboter?

Hiroshi Ishiguro: Natürlich können auch wir zwischen einem Tisch, einem Computer und einem Menschen unterscheiden, aber wir müssen es nicht tun, wir brauchen diese Unterscheidung nicht. Was die Seele betrifft: Warum nicht? Warum sollte ein Ding keine Seele haben?

science.ORF.at: Was ist die Seele für Sie als Wissenschaftler?

Hiroshi Ishiguro: Keine Ahnung, ich habe zwar ein paar Hypothesen, aber ich habe noch nie eine Seele gesehen. Vielleicht ist sie auch eine Illusion?

Forscher Hiroshi Ishiguro steht neben dem Androiden Geminoid

APA-FOTO: ATR INTELLIGENT ROBOTICS AND COMMUNICATION LABORATORIES

Ishiguro (links) und sein Klon

Ishiguro wirkt während des Gesprächs ein wenig abwesend. Wenn ihm eine Frage gefällt, dann nimmt er sein Telefon in die Hand, senkt den Blick und tippt ein Memo. Dann spricht er noch langsamer, als er es ohnehin tut. Hat er sich im Laufe der Zeit an seinen Doppelgänger angepasst, ist er ihm vielleicht sogar ähnlicher geworden? Gegen diesen Gedanken spricht, dass die Maschine nicht altert. Im Grunde ist es wie bei Dorian Gray, nur umgekehrt: Ishiguros Spiegelbild bleibt immer das gleiche, während er sich im Laufe der Zeit verändert, verändern muss.

science.ORF.at: Herr Ishiguro, sie werden im Gegensatz zu Geminoid älter. Wie lösen sie dieses Problem - falls das überhaupt eines ist?

Hiroshi Ishiguro: Wie alt bin ich, was glauben Sie?

science.ORF.at: Mitte 40?

Hiroshi Ishiguro: Als ich begonnen habe Geminoid zu bauen, war ich 41. Jetzt bin ich 54. Um dieses Problem zu lösen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder baue ich immer neue Versionen von Geminoid oder ich versuche mich zu verjüngen - durch medizinische Technologie, durch plastische Chirurgie. Ich mache von beiden Möglichkeiten Gebrauch.

science.ORF.at: Sie haben sich operieren lassen?

Hiroshi Ishiguro: Ja, mehrfach.

Ishiguro greift in seinen Haarschopf und zieht ihn nach oben - er ist dicht und schwarz, fast schon blauschwarz - und sagt: „Das ist Medizin.“

science.ORF.at: Sie müssen auch so schlank bleiben wie der Roboter. Treiben sie Sport?

Hiroshi Ishiguro: Ich esse nicht viel, vor allem keine Süßigkeiten.

science.ORF.at: Was ist Geminoid: eine Person oder eine Maschine?

Hiroshi Ishiguro: Etwas dazwischen. Äußerlich ist er eindeutig eine Person, in seinem Inneren ist er eine Maschine. Aber die Frage ist: Warum müssen wir zwischen Menschen und Maschinen unterscheiden? Warum ist das für die Europäer so wichtig? Der Mensch ist ein Tier, das sich der Technologie bedient. Ohne Maschinen wären wir bloß Affen - und unfähig in dieser Welt zu überleben. Wir sollten die Technologie als Teil unseres Selbst akzeptieren. Wir Menschen sind in gewisser Hinsicht bereits Maschinen.

science.ORF.at: Sprechen wir kurz über einen anderen humanoiden Roboter namens Sophia. Saudi Arabien hat Sophia letztes Jahr die Staatsbürgerschaft verliehen. Was halten Sie davon?

Hiroshi Ishiguro: Ich kenne Sophias Schöpfer, David Hanson, recht gut. Er ist ein Freud von mir. Aber was das mit der Staatsbürgerschaft soll, weiß ich nicht. Ich kann mich dazu nicht äußern.

science.ORF.at: Die japanische Staatsbürgerschaft für Geminoid - denken Sie an diese Möglichkeit?

Hiroshi Ishiguro: Nein, das ist mir egal. Wir müssen Geminoid weiter verbessern. Ob man Robotern irgendwann auch Rechte verleihen sollte - diese Frage wird uns irgendwann beschäftigen, in zehn oder 20 Jahren, vielleicht erst in 100 Jahren.

science.ORF.at: Glauben Sie, dass Geminoid Empfindungen hat?

Hiroshi Ishiguro: Er besitzt Sensoren. Ob er auch Sinnesempfindungen hat, ist schwer zu beantworten. Die sensorische Seite ist relativ überschaubar, aber die mentale Seite ist ungleich komplexer.

science.ORF.at: Werden Maschinen jemals Bewusstsein haben?

Hiroshi Ishiguro: Ich hoffe es. Vielleicht wird es irgendwann möglich sein.

science.ORF.at: Manche Forscher sagen: Computation mit Nullen und Einsen ist prinzipiell ungeeignet, um Innerlichkeit oder gar Bewusstsein zu erzeugen.

Hiroshi Ishiguro: Dieser Ansicht bin ich nicht. Ich glaube schon, dass das prinzipiell möglich wäre. Das menschliche Gehirn ist ja auch nichts anderes als eine sehr komplizierte Maschine.

science.ORF.at: Wie geht es mit Ihrem Doppelgänger weiter, welche Entwicklungen planen Sie?

Hiroshi Ishiguro: Als nächstes wollen wir die autonome Sprachfunktion weiter verbessern. Einfache Konversationen sind jetzt schon möglich. Aber ich möchte mich mit meiner Kopie richtig unterhalten. Vielleicht kann ich von ihm noch etwas lernen.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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