Wie Liebe gelingen kann

Zerstört man die Liebe, wenn die Wissenschaft sie untersucht? Der renommierte Psychoanalytiker Otto Kernberg findet das nicht. Im Gegenteil. Im besten Fall kann Psychoanalyse dazu beitragen, dass Liebe gelingt.

„Liebe ist ein komplexes System und nicht eine einfache Fähigkeit“, sagt der 89-jährige Psychiater und Psychoanalytiker vom Weill Cornell Medicine College im US-Bundesstaat New York. Seine Eltern sind 1939 vor den Nazis aus Wien geflohen, ab den 60er Jahren entwickelte er sich zu einem der wichtigsten psychiatrischen Forscher der Gegenwart.

In seiner Forschung befasst sich Otto Kernberg mit schweren Persönlichkeitsstörungen wie bösartigem Narzissmus und Borderline-Erkrankungen, aber auch mit der Wirksamkeit psychoanalytischer Behandlungen und ihrer Evaluierung. Vor Kurzem war er Gast bei einem Vortrag an der Wiener Psychoanalytischen Akademie.

Angeborenes und Erworbenes

„Wissenschaftliche Untersuchung bedeutet nicht, dass man die Magie der Liebe zerstört“, so Kernberg gegenüber Ö1. Die Aufgabe der Wissenschaft sei es vielmehr, Strukturen zu erkennen und eigene Methoden der Untersuchung zu entwickeln, ohne die Liebe dabei zu zergliedern.

Ö1-Sendungshinweis:

„Die Liebe. 12 Fragen an den Narzissmus-Experten Otto Kernberg: Salzburger Nachtstudio, 21.2, 21 Uhr

Der Psychotherapeut betont, dass er sich speziell für die sexuelle Liebe interessiert – und diese ist ein komplexes Phänomen: eine Mischung aus versinnlichten Objektbeziehungen zu den Eltern und deren Sexualität. Dazu kommen angeborene Fähigkeiten der Lustempfindung und ganz eigene Lebensumstände, Werte und Normen, die in der erwachsenen Liebesbeziehung, eine Rolle spielen.

Porträtfoto von Otto Kernberg

ORF/Joseph Schimmer

Otto Kernberg im ORF-Funkhaus

Gehirn: Sklave von Körper und Gefühlen

Die allererste und frühste Erfahrung mit Liebesgefühlen, macht der Säugling mit Mutter und Vater, die ihn berühren, streicheln, waschen, halten, küssen, pflegen. Sah Sigmund Freud, der noch nichts über die Wirkung von Hormonen wusste, diese ersten Kontakte als wichtige Initiation erster sexuell-zärtlicher Empfindungen an, argumentiert Otto Kernberg nicht nur mit psychoanalytischer Theoriebildung, sondern auch mit Erkenntnissen aus der Neurobiologie.

Er bezieht sich auf die Positionen des Neurowissenschaftlers Antonio Damasio, der das Gehirn für den „Sklaven des Körpers und der Gefühle“ hält, verweist aber auch auf den estnischen Psychologen Jaak Panksepp, der Zusammenhänge von Hirnaktivität und Sozialverhalten erforschte. Panksepp ging von positiven und negativen Affektsystemen des Menschen aus, die eine angeborene, neuronale Grundlage haben: Angst, Wut, Panik, Suche, Fürsorge, Lust und Spiel.

Bindung spaltet sich von Erotik

Die erotische Attraktion würde von Anbeginn des Lebens existieren, sagt er, sei aber weniger erforscht als die Bindung. Beide Systeme hängen eng zusammen, erklärt auch Otto Kernberg.

Erst im Laufe der Entwicklung und Reifung des Menschen spalten sich jedoch Bindungsverhalten und Erotik, die im Kleinkindalter noch verbunden und auf die Eltern gerichtet waren. Inzwischen, nach der Pubertät etwa, haben sich im Hippocampus die frühen ersten erotischen- und Bindungserfahrungen gespeichert.

Sie kehren im Laufe der Zeit als Phantasien über Körpergefühle und erste Beziehungen wieder – vor allem in der Adoleszenz, also nach der körperlichen sexuellen Reifung und mit der Fähigkeit zum vollen Orgasmus.

Unbewusste Konflikte in der Liebe

Eine erwachsene Liebesbeziehung trägt immer auch die verinnerlichte frühe Beziehung zu den Eltern mit sich. Otto Kernberg verweist aber auch auf die kindliche Sexualität – die infantile Lust, die, wenn sie fixiert und zwanghaft auftritt, auch in eine Perversion münden kann.

Infantile Sexualität jedoch – das sind sadomasochistische, orale, voyeuristische oder exhibitionistische Aspekte der Lust –, spielen in jedem „normalen“ Sexualleben zwischen zwei Partnern, eine wichtige Rolle.

Langeweile in einer Beziehung könnte ein Indikator für verdrängte Aggressionen oder auch eine gehemmte infantile Lust sein, die sich das Paar verbietet.

„Das reife sexuelle Paar“

Das reife sexuelle Paar, erklärt Otto Kernberg, hat einen heiklen Balanceakt zu bestehen. Denn in jeder sexuell erfüllenden Liebesbeziehung, werden zwangsläufig auch die versinnlichten „Objektbeziehungen“ der Kindheit wach, die zur Re-Inszenierung mit dem Partner drängen und in destruktive Konflikte münden können.

Eine reife Liebesbeziehung gründet auf die Überwindung früher, ödipaler Hemmungen und Schuldgefühle. Und genau das kann dann wieder neuen Konfliktstoff mit sich bringen; denn eine erfüllte sexuelle Beziehung bringt das Paar in Opposition zu seinem Umfeld – diese Liebe ist quasi eine Revolution, so Kernberg.

Katrin Mackowski, Ö1-Wissenschaft

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