Riesenstudie: Antidepressiva helfen

Antidepressiva sind kein Allheilmittel, wirken aber bei schweren Depressionen. Zu diesem Schluss kommt eine Metaanalyse von mehr als 500 Studien. Über die individuelle sowie langfristige Wirkung weiß man dennoch wenig, warnen Experten.

Weltweit leiden geschätzte 350 Millionen Menschen an Depressionen. Immer mehr Betroffene erhoffen sich eine Linderung ihres Leids durch Medikamente. Unter anderem deshalb, weil eine psychotherapeutische Behandlung viel Zeit braucht und meist viel kostet. Nur selten übernehmen die Krankenkassen die vollen Kosten für eine Therapie.

In Österreich nimmt etwa jeder Zehnte Medikamente gegen Depressionen, oft werden sie vom Hausarzt verschrieben - zu leichtfertig, wie viele kritisieren. Die Wirksamkeit der Mittel ist nämlich umstritten. Vor allem bei leichteren Formen der Erkrankungen scheinen Antidepressiva nicht viel mehr zu helfen als ein Placebo. Das legen zumindest manche Meta-Analysen nahe. Etwas besser sieht es bei schweren Depressionen aus. Hier gibt es mehr Belege für eine gewisse Wirksamkeit, die nun von einer aktuellen Überblicksstudie in „The Lancet“ bestätigt wird.

Moderate Wirkung

Die Forscher um Andrea Cipriani von der University of Oxford haben in dieser bisher größten zusammenhängenden Analyse 522 (zum Teil bisher unveröffentlichte) Studien mit mehr als 116.000 Patientinnen und Patienten ausgewertet, die gegen eine akute schwere Depression acht Wochen lang entweder eines von 21 zugelassenen Antidepressiva oder Placebos erhielten.

Alle Medikamente waren zumindest etwas wirksamer als die Scheinpräparate und hatten wenig unerwünschte Nebenwirkungen, so das Ergebnis. Die stärkste Wirkung hatte eines der ältesten Mittel, Amitriptylin. Dieses ist dafür nicht ganz so gut verträglich wie neuere Wirkstoffe. Ähnlich effektiv waren z.B. Mirtazapin und Duloxetin.

Am unteren Ende der Wirksamkeitsskala finden sich etwa Clomipramin und Reboxetin. Auch Fluoxetin zählt hier zu den weniger wirksamen Mittel. Dabei hatte erst 2016 ein Team um Cipriani festgestellt, dass dies das einzig wirksame Medikament für Minderjährige sein dürfte. Das könnte daran liegen, dass Depressionen beim jungen Menschen andere Ursachen haben, schreiben die Autoren.

Individuelle Wirkung unklar

Wie die Forscher außerdem betonen, beziehen sich die Daten ausschließlich auf achtwöchige Behandlungen. Wie eine langfristige Einnahme wirkt, lässt sich daher nicht beurteilen. Generell seien Medikamente nur ein mögliches Mittel, eine psychotherapeutische Behandlung sollte - so verfügbar - immer erwogen werden.

Ähnlich sieht das auch Klaus Lieb von der Universitätsmedizin Mainz. Gegenüber dem Science Media Center meint er: „Eine Psychotherapie wirkt zwar langsamer, hat aber wahrscheinlich den Vorteil der länger anhaltenden Effekte.“ Bei schweren Fällen plädiert er für eine Kombination von Therapie und Antidepressivum.

Nichts hält Lieb davon, aus der aktuellen Arbeit eine Hitliste der wirksamsten Medikamente abzuleiten. Was langfristig besser wirkt, weiß man nicht, so der Psychiater: "Dazu kommt, dass die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Patient zu Patient unterschiedlich sein kann und gute Prädiktoren, wer gut oder schlecht auf ein Medikament anspricht, bisher nicht zur Verfügung stehen.“

Ein Drittel der Patienten reagiert gar nicht auf die medikamentöse Behandlung, erklärt Studienautor Cipriani in einer Aussendung: „Die verfügbaren Medikamente sind nur gering bis moderat wirksam.“ Die Behandlung müsse daher in jedem Fall weiter verbessert werden.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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