500 Jahre Migration, ein Stammbaum

Forscher haben die bisher größte Ahnentafel analysiert. Die Daten von 13 Millionen Verwandten zeichnen die Geschichte von 500 Jahren westlicher Expansion nach und überraschen: So wird etwa Langlebigkeit weit weniger vererbt als bisher gedacht.

Sind es tatsächlich die „guten Gene“, die manchen Menschen ein langes Leben bescheren? „Bisher gingen Forscher in der Regel davon aus, dass Langlebigkeit etwa zu 25 Prozent vererbt wird“, erklärt der Studienleiter Yaniv Erlich von der Columbia University in New York.

Nun widerlegt der Bioinformatiker gemeinsam mit Kollegen diese These und sagt: „Gene spielen kaum eine Rolle, sondern sind nur zu 16 Prozent dafür verantwortlich, wie lange man lebt. Unsere Umgebung, gewisse Lebensentscheidungen, das Geschlecht sowie viele andere Faktoren scheinen hier ebenfalls eine entscheidende Rolle zu spielen.“

Umfasst elf Generationen

Zu diesem Ergebnis brachte die Forscher die Analyse von 86 Millionen Profilen auf der Onlineplattform Geni.com. Die Webseite soll Hobbyahnenforschern dabei helfen, ihre Familiengeschichte zu vervollständigen. „Man gibt einfach seine Eltern, Großeltern und andere Verwandte mit Geburts- und Sterbedatum sowie den jeweiligen Ort ein, soweit man es selbst weiß“, erklärt Erlich, der auch als Forschungsleiter von MyHeritage tätig ist - einer Firma, die auch Geni.com betreibt.

Manche Genealogen haben dabei ganze Arbeit geleistet und ihren Familienstammbaum bis ins frühe 17. Jahrhundert in die Onlineplattform eingegeben. Aus den Daten errechnete die Software einen elf Generationen umspannenden Stammbaum, der 13 Millionen Menschen umfasst. Insgesamt, so die Forscher, lassen sich damit die Migration von Europäern nach Amerika ab Columbus und die Wanderungsbewegungen im Westen gut nachvollziehen.

Video der Wanderungsbewegungen ab dem 15. Jahrhundert:

Dass Geni.com allerdings fast ausschließlich Familiengeschichten aus Europa und Nordamerika erzähle und nur wenige Informationen zu Menschen aus Afrika, Südamerika oder Ureinwohnern Nordamerikas enthalte, erklärt sich der Bioinformatiker unter anderem damit, dass im Westen Daten über die Bevölkerung besser archiviert seien. Hinzu komme, dass es Kriege sowie Massenvernichtungen manchen unmöglich mache, ihre Familiengeschichte weit zu verfolgen.

Bewegungen in Europa und Nordamerika

Die nähere Analyse der Stammbäume zeigt, dass sich Europäer innerhalb Europas bis in das 19. Jahrhundert in der Regel kaum aus dem eigenen Dorf bewegt haben, um zu heiraten. „Selbst jene, die 1950 geboren wurden, legten durchschnittlich nur 50 Kilometer zurück.“ Zum Vergleich: In den USA waren es zwischen 1650 und 1750 bereits zehn Kilometer, im 20. Jahrhundert im Schnitt sogar 100 - was bei der unterschiedlichen Bevölkerungsdichte und Geografie der Kontinente kein Wunder ist.

Keinen Unterschied gibt es aber bei der Frage, wer eher den Heimatort verlassen hat, um zu heiraten. Laut der Stammbaumanalyse waren es da wie dort vorwiegend die Frauen. "In den Daten sehen wir, dass das bis 1950 der Fall war.” Männer hingegen haben seltener ihren Wohnort für die Ehe verlassen. Wenn sie es aber getan haben, sind sie dafür weiter gezogen, so Erlich - womöglich jene, die im Krieg eine Frau gefunden haben, spekuliert der Forscher.

Wer wen geheiratet hat

Noch ein weiteres Detail über unsere Vorfahren lesen die Forscher aus den Heiratsinformationen heraus. „Wir sehen, dass die erste industrielle Revolution und damit die Möglichkeit, zu reisen und mobil zu sein, die Menschen offensichtlich nicht davon abgehalten hat, weiter in der Verwandtschaft zu heiraten.“ Im Gegenteil: Zwischen 1800 und 1850 schienen Hochzeiten zwischen Cousins und Cousinen, größtenteils vierten Grades, sogar noch häufiger geworden zu sein als vorher. Erst nach 1850 erzählen die Onlineahnentafeln von einer zunehmenden Vernetzung zwischen den Familienstammbäumen. „Das legt den Schluss nahe, dass hier nicht das Transportwesen, sondern vermutlich sich verändernde gesellschaftliche Normen der Motor waren.“

Um sicherzugehen, dass diese Stammbaumanalysen stimmen, haben Erlich und seine Kollegen die Angaben der Hobbyahnenforscher mit genetischen Informationen aus öffentlichen Datenbanken wie Mitosearch.org und Ysearch.org vorab abgeglichen. „Dadurch hatten wir über eine kleine Anzahl von Geni.com-Nutzern auch genetische Informationen, anhand derer wir vergleichen konnten, ob die Familienverhältnisse väterlicher- bzw. mütterlicherseits korrekt sind.“ Den Rest machte die Mathematik. „Zudem haben wir Profile mit lokalen Gesundheitsdatenbanken im US-Bundesstaat Vermont abgeglichen, um sicherzugehen, dass die Stammbäume repräsentativ sind.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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