Die Zukunft des Sports in öffentlich-rechtlichen Medien

Wie können und sollen öffentlich-rechtliche Medien über Sport berichten? Der Medienexperte Reinhard Christl versucht in seinem Gastbeitrag eine Antwort: weniger Events und Inszenierung, mehr Analyse sowie kritische Hintergrundberichte.

Eine einzige Zahl genügt, um die Situation auf dem Markt für Sportübertragungen zu beschreiben: In England kostet es umgerechnet mehr als zehn Millionen Euro, ein einziges Spiel der Fußball-Premier-League übertragen zu dürfen. Die Preise für Übertragungsrechte populärer Sportarten, allen voran Fußball, sind in den vergangenen Jahren explodiert. Sie haben sich innerhalb kurzer Zeit verdoppelt bis vierfünffacht.

Porträtfoto von Reinhard Christl

Regula Troxler

Der Autor

Reinhard Christl ist Medien- und Unternehmensberater in Wien. Er leitet den Wirtschaftslehrgang der Austria Presseagentur und lehrt an der WU Wien, an der FH des bfi sowie am Kuratorium für Journalistenausbildung und ist stellvertretender Vorsitzender des Public-Value-Beirats der KommAustria.

Die Langfassung seines Gastbeitrags ist im aktuellen Public-Value-Bericht des ORF erschienen.

Die Folge: Öffentlich-rechtliche Sender haben es heute viel schwerer als in der Vergangenheit, Übertragungsrechte für populäre Sport-Events zu bekommen. So betrachtet, ist der Verlust der Fußball-Champions League und der Bundesliga, die der ORF 2017 zu beklagen hatte, im internationalen Vergleich nichts Besonderes.

In hoch entwickelten Medienmärkten wie Großbritannien ist es seit Jahren eine Selbstverständlichkeit, dass die großen Fußball-Ligen nur im Pay-TV zu sehen sind. Ein Ende der Kostenexplosion in Sachen Übertragungsrechte ist derzeit nicht abzusehen. Welche Folgen hat diese Entwicklung für die Qualität des Sportjournalismus? Was bedeutet sie für das Publikum? Und wie sollen öffentlich-rechtliche Sender darauf reagieren?

Embedded Journalism als Problem

Embedded Journalism hat nicht zu Unrecht einen schlechten Ruf. Seit Journalisten im Irak-Krieg gemeinsam mit US-Streitkräften marschierten und zum Sprachrohr der US-Regierung wurden, gilt er als das Gegenteil von unabhängigem Journalismus.

Embedded Journalism gibt es nicht nur in der Politik. Auch im Sport haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr Abhängigkeiten, Verquickungen und Gegengeschäfte zwischen Objekten der Berichterstattung einerseits und Berichterstattern andererseits eingeschlichen. Pay-TV-Sender, vereinseigene TV-Programme und verschiedenste Social Media-Kanäle zeichnen immer öfter ein geschöntes und interessengeleitetes Bild von Sportevents. Zum Beispiel im Fußball. Bei der Fußball-Europameisterschaft 2016 etwa wurden Fan-Ausschreitungen von der Bildregie des Veranstalters UEFA konsequent ausgeblendet.

Missstände aufdecken

Kritischer Sportjournalismus ist in den privaten Medien kaum zu finden und für die öffentlich-rechtlichen immer schwerer möglich. Eine Einordung dessen, was auf dem Rasen, auf der Piste oder auf der Rennstrecke passiert in gesellschaftliche und politische Zusammenhänge wird in den neuen Medien und Privatsendern nicht wirklich geboten. Dabei gäbe es eine Menge zu hinterfragen und zu kritisieren: Korruption, undurchsichtige Vergabe von Olympischen Spielen, Wettbetrügereien, Fanausschreitungen, Doping. Vieles davon wird von den privaten Medien verschwiegen, weil seine Erwähnung ihr Business-Modell stören würde. Wer „embedded“ ist ins Geschäft, macht sich nicht dessen Grundlage kaputt.

Silhouette eines Mannes vor dem hauptquartier des Internationalen Olympischen Komitees

APA/AFP/Fabrice COFFRINI

Auf Missstände wie Doping hinzuweisen gehört zu den Aufgaben öffentlich-rechtlicher Medien

Ein interessanter Spezialfall von „Emdedded Sports Journalism“ bereichert seit einigen Jahren die österreichische Medienlandschaft: der Red-Bull-Sender Servus TV. Er macht hochprofessionelle Sportsendungen, keine Frage. Die Sport-Show „Sport und Talk im Hangar 7“ ist derartig aufwändig produziert, dass sie sich der ORF in dieser Form kaum leisten könnte. Trotzdem sind die in der Sendung gebotenen Sportdiskussionen oft erstaunlich langweilig. Der Grund dafür ist einfach: Manche Positionen sind nur selten zu hören, würden sie doch zu oft mit den Interessen von Red Bull in Konflikt geraten, wenn es etwa um Todesfälle in von Red Bull gesponserten Extremsportarten geht. Oder um die Krise der Formel 1.

Was es braucht

Andererseits stehen immer mehr Zuseherinnen und Zuseher der mit der Explosion der Übertragungsrechtekosten einhergehenden Überkommerzialisierung des Sports zunehmend kritisch gegenüber und wollen über dessen Hintergründe informiert werden.

Öffentlich-rechtliche Medien können solche Hintergrundberichterstattung bieten. Als Alleinstellungsmerkmale ihrer Sportberichterstattung können sie dabei auf ihre klassischen Qualitäten setzen:

  • weniger „embedding“ und mehr journalistisch-kritische Zugänge zum Thema Sport, der nicht nur als Produkt, sondern auch als gesellschaftspolitisches Phänomen zu betrachten ist;
  • kritischere Interview-Fragen als bei den Privaten;
  • eine Bildregie, die auch negative und aus Marketing-Sicht unerwünschte Aspekte und Szenen eines Sport-Events, etwa Fanausschreitungen auf den Tribünen, nicht ausblendet;
  • eine ausführliche, die Live-Übertragungen ergänzende Hintergrundberichterstattung, die sich den Schattenseiten des Sports widmet.

Wider die Über-Inszenierung

Lange Zeit waren im Sport analytische Hintergrundgeschichten, ausführliche Reportagen und kritische Dokumentationen auch bei öffentlich-rechtlichen Sendern wenig gefragt. Live-Übertragungen waren das einzige, was Quoten brachte.

Seit einigen Jahren zeichnet sich international eine Trendwende ab: Das Publikum beginnt der Eventisierung und Über-Inszenierung der Sport-Events überdrüssig zu werden. Es wünscht sich wieder mehr Blicke hinter die Kulissen. Klassische Reportagen und Dokumentationen finden wieder mehr Zuschauer, etwa der sensationelle eineinhalbstündige WDR-Dokumentarfilm über Boris Becker („Der Spieler“) oder das legendäre ORF-Portrait zu Ernst Happels 20. Todestag („Als Jose Mourinho ein Österreicher war“). Von privaten Medien ist in dieser Hinsicht nicht wirklich viel zu erwarten. In den öffentlich-rechtlichen sollte es künftig (wieder) mehr davon geben.

Dokus brauchen Live-Berichte

Auch wenn solche hochwertigen Reportagen und Dokumentationen noch so gut gemacht sind, brauchen sie freilich ein entsprechendes Programmumfeld. Sie können Live-Übertragungen nur ergänzen, nicht ersetzen. Wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender keine massentauglichen Sport-Live-Übertragungen im Programm hat, wird er selbst für die großartigsten Sport-Reportagen und -Dokus kaum Zuseher finden. Und ein Sender, der keine Sportübertragungsrechte hat, wird sich schwer tun, Bildmaterial für Hintergrundreportagen zu finden.

Fazit: Übertragungsrechte für populäre Sportarten bleiben für öffentlich-rechtliche Medien auch künftig unverzichtbar. Sie müssen sowohl Live-Übertragungen populärer Sport-Events als auch klassische Formate wie analytische Reportagen und Dokumentationen bieten.

Sie brauchen dafür künftig erstens ausreichende finanzielle Ressourcen. Zweitens ausreichend Personal, das regelmäßig und systematisch weitergebildet werden muss, um den veränderten Anforderungen gerecht werden zu können. Drittens schließlich rechtliche Rahmenbedingungen, die ihnen ermöglichen, ihr Sportpublikum auch in den neuen Medien zu erreichen.

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