Suche nach Heilkräutern im „PhytoValley“

Rund 200 Pflanzenextrakte sind in Österreich als Pharmazeutika zugelassen. Doch das Potenzial ist viel größer: Der neue Forschungscluster „PhytoValley“ in Innsbruck sucht nach neuen Wirkstoffen für die Pharma-, Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie.

„Das Tal der Pflanzen“, so könnte man den neuen Forschungscluster in Innsbruck bezeichnen. „Im Gegensatz zum Silicon Valley in Kalifornien oder dem Cosmetic Valley in Frankreich, befindet man sich hier aber wirklich in einem Tal“, meint Günther Bonn schmunzelnd. Der Leiter des Instituts für Analytische Chemie und Radiochemie der Uni Innsbruck setzt auf die Analyse von Pflanzeninhaltsstoffen und will so Innovationen und auch Arbeitsplätze in Tirols Landeshauptstadt schaffen.

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Diesem Thema widmet sich auch ein Beirag in Wissen aktuell, 3.4., 13.55 Uhr.

Heilende Wirkstoffe entschlüsseln

Die Anwendungspalette von Pflanzeninhaltsstoffen ist breit. In der Phytopharmazie setzt man bereits seit langer Zeit auf Schlüsselblume, Spitzwegerich, Thymian und Co. „Über 100 Milliarden Euro werden weltweit in der Phytopharmazie umgesetzt, Tendenz steigend“, erklärt der Chemiker. Der Markt für Naturkosmetik wird sich laut Prognosen in den kommenden fünf Jahren verdoppeln. Und auch große Lebensmittelkonzerne setzen mittlerweile auf das Label „natürliche Inhaltsstoffe“.

„Die Auflagen für phytopharmazeutische Produkte sind ebenso streng wie für synthetische“, sagt Bonn. Die Hersteller müssen den pflanzlichen Inhaltsstoff und seine Wirkung nachweisen. Auch der richtige Erntezeitpunkt ist wichtig. Die Forscher haben daher bestimmte pflanzliche Inhaltsstoffe, die für die Industrie interessant sind, während der Aufzucht mit einem Spektrometer analysiert. Landwirte können nun mit einem Handgerät die Konzentration des Inhaltsstoffes verfolgen, um den richtigen Zeitpunkt der Ernte festzustellen.

Hand-Infrarotspektrometer der Forscher

Juliane Nagiller, ORF

Das Hand-Infrarotspektrometer

Die Pflanze wird dabei mit Infrarotlicht bestrahlt. Das reflektierte Licht wird von einem zweiten Lichtleiter aufgenommen und analysiert. Am Display kann man die Konzentration des pflanzlichen Inhaltsstoffes ablesen.

Für die Extraktion der Pflanzenwirkstoffe haben die Forscher neue Materialien entwickelt, die chemisch so modifiziert sind, dass ihre Oberfläche eine Wechselwirkung mit dem Inhaltstoff aufweist, den die Industrie braucht. „An diesem Material bleiben nur diese Komponenten hängen“, erklärt Bonn. Man kann den Wirkstoff dann herunterspülen und zum Beispiel in Arzneimitteln verarbeiten.

Screening am Hautmodell

In Innsbruck werden nicht nur bekannte Pflanzenwirkstoffe analysiert, sondern es wird auch an neuen Wirkstoffen geforscht. Die Grundlagenforschung findet an der Universität Innsbruck statt. Das benachbarte Austrian Drug Screening Institute, ein Spin-off der Universität, arbeitet anwendungsorientiert und versteht sich als Brücke zur Industrie. Ergänzt wird der Cluster durch das Michael Popp Forschungsinstitut, benannt und gestiftet vom Inhaber von Bionorica, einem deutschen Arzneimittelunternehmen.

Um neue Pflanzenwirkstoffe zu finden, werden zuerst mittels Wasser und Ethanol die Inhaltsstoffe verschiedener Pflanzen herausgelöst und dann an menschlichen Zellsystemen geprüft. „Wir haben beispielsweise für die Leber bestimmte Zellsysteme, die aus Humanzellen bestehen“, sagt Günther Bonn. „Wenn man das Extrakt auf diese Zellen gibt, dann kann man genau sehen, wie sich die Zelle verändert.“ Die Metaboliten werden genau analysiert, um festzustellen, ob der Inhaltstoff eine positive Wirkung aufweist.

Vorteilhafte Stoffgemische

Ähnlich wird im Kosmetikbereich verfahren. Auch hier werden Produkte an einem 3-D-Modell der Haut getestet. Keratinozyten, also hornbildende Zellen, werden auf ein Filtersystem aufgetragen. Die Zellen bauen eine komplette Hautschicht auf. „Wenn man darauf das Produkt aufträgt, dann können wir genau nachweisen, ob der Wirkstoff etwa entzündungshemmend wirkt oder einen Anti-Aging-Effekt aufweist“, erläutert der Chemiker. Auch allergene Wirkungen können so nachgewiesen werden. Kosmetikprodukte dürfen in der EU seit 2013 nicht mehr an Tieren getestet werden.

Im Unterschied zu chemisch definierten Wirkstoffen, handelt es sich bei pflanzlichen Wirkstoffen um Vielstoffgemische. Das birgt Vorteile gegenüber synthetischen Monopräparaten. „Ein typisches Beispiel ist A-Salix, ein Produkt aus Weidenrinde“, erzählt Bonn. Die Weidenrinde beinhaltet Salicylsäuren, die man aus synthetischen Produkten wie etwa dem Aspirin kennt. Während synthetische Produkte zu Übersäuerung führen können, kommt das bei Produkten aus Weidenrinde nicht vor, da sie zusätzliche Komponenten aufweisen, die das Produkt verträglicher machen.

Juliane Nagiller, Ö1 Wissenschaft

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