Dutschke-Attentat prägte die 68er

11. April 1968, Kurfürstendamm in Westberlin: Der rechtsextreme Hilfsarbeiter Josef Bachmann schießt dreimal auf Rudi Dutschke, den Wortführer der linken Studierenden. Das Attentat gilt bis heute als einschneidendes Ereignis der 68er-Bewegung.

Bachmanns Tatmotiv war Hass auf Kommunisten und alle, die er dafür hielt. Der 23-Jährige verübte es in einer politisch aufgeheizten Zeit: Wenige Tage zuvor war der schwarze US-Bürgerrechtler Martin Luther King erschossen worden, kurze Zeit später wurde die terroristische Rote Armee Fraktion (RAF) aktiv. Dutschke selbst war Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS).

Der damals 28-Jährige überlebte das Attentat mit schweren Hirnverletzungen. Zu dem Zeitpunkt war er bereits einerseits Ikone der Linken und andererseits Hassfigur von Politik und Medien. Mit dem Stück „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“ (YouTube) verarbeitete der Liedermacher Wolf Biermann das Attentat und machte wie viele Linke damals drei Parteien verantwortlich: den Axel-Springer-Verlag, die Regierung unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) sowie die Berliner Landesregierung.

Demonstration nach dem Dutschke-Attentat: Linke Studenten kämpfen mit einem Wasserwerfer der Berliner Polizei

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Nach dem Dutschke-Attentat: Linke Studenten stemmen sich gegen einen Wasserwerfer der Berliner Polizei

Für „Bild“-Zeitung „Staatsfeind Nr. 1“

Seit Montag sind die Projektile aus der Waffe von Josef Bachmann bei einer Ausstellung in der Polizeihistorischen Sammlung in Berlin zu sehen - ebenso wie Ermittlungsunterlagen zu dem Angriff und seinen Folgen.

Der Leiter der Sammlung, Jens Dobler, wirbt für einen differenzierten Blick auf die Geschichte. Der Attentäter, damals 23 Jahre alt, hatte in den 60er Jahren Kontakt zu Neonazis. Als er für den Angriff auf Dutschke eigens aus München nach Berlin reiste, trug er die rechtsgerichtete „National-Zeitung“ bei sich. „Gerade dieses Attentat macht deutlich, dass die Gesellschaft auf dem rechten Auge blind ist - auch die Linken damals“, meint Dobler.

Springer-LKWs, die nach Protesten von Anhängern Dutschkes demoliert wurden

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Springer-Lkws, die nach Protesten von Anhängern Dutschkes nach dem Attentat demoliert wurden

„Da formierten sich neue Rechte, die bereit waren zu schießen. Und es wurde nicht groß thematisiert“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. „Alle möglichen Leute sind beschuldigt worden, aber selten derjenige, der geschossen hat.“ Aber Dobler hält auch die Medien für mitverantwortlich für die Stimmung im Land. Der Springer-Verlag und andere hätten „Medienhetze“ gegen den Aktivisten betrieben - die „Bild“-Zeitung bezeichnete Dutschke noch am Tag des Attentats als „Staatsfeind Nr. 1“.

Idol der Studentenbewegung

Obwohl Rudi Dutschke selbst aus bürgerlichen Verhältnissen stammte, war sein Feind immer das „Establishment“. Der Studentenführer, 1940 in Brandenburg als Sohn eines Postbeamten geboren, wollte zunächst Sportjournalist werden. Da ihm als Kriegsdienstverweigerer der Zugang zur Universität verwehrt wurde, ging er 1961 nach Westberlin, wo er Soziologie studierte.

Wenige Jahre nach Beginn seines Studiums stieg Dutschke zum führenden Kopf des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes auf. Der charismatische Redner prägte zu Zeiten der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD die außerparlamentarische Opposition (APO) und avancierte zum Idol der Studentenbewegung. Dutschke sprach damals von „Provokationen, ohne die wir nicht wahrgenommen werden“.

„Langer Marsch durch Institutionen“

Das Attentat auf ihn erfolgte nur ein knappes Jahr, nachdem in Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen worden war. Danach radikalisierte sich die Studentenbewegung. Die späteren Mitbegründer der RAF, Andreas Baader und Gudrun Ensslin, verübten ihren ersten Anschlag eine Woche vor dem Attentat auf Dutschke. In Frankfurt am Main zündeten sie mit Mittätern zwei Kaufhäuser an.

Der Ort des Attentats am Berliner Kurfürstendamm, mit Rad und Aktentasche von Dutschke

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Der Ort des Attentats am Berliner Kurfürstendamm, mit Rad und Aktentasche von Dutschke

Je radikaler die RAF wurde und je mehr Menschen durch ihren Terror starben, desto mehr schwand ihr Rückhalt in der Bevölkerung. Dutschkes Theorie vom „langen Marsch durch die Institutionen“ (Wikipedia) hat sich dagegen im Rückblick als praxistaugliches politisches Rezept erwiesen. Viele derjenigen, die damals losmarschiert waren, wurden später Minister und Professoren.

Opfer und Täter tot

Bachmann legte nach seiner Tat ein volles Geständnis ab. Er wurde 1969 wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Bachmann galt lange als Einzelgänger, er gehörte keiner Partei an. Erst 41 Jahre nach dem Attentat berichtete der „Spiegel“ unter Berufung auf Stasi-Akten und Westberliner Verhörprotokolle, Bachmann habe Kontakt zu Neonazis gehabt. Mit einem älteren Rechtsradikalen soll er dort Schießen geübt und von ihm Munition gekauft haben.

In der Untersuchungshaft versuchte Bachmann mehrfach, sich das Leben zu nehmen - vorerst vergeblich. Dutschke schrieb ihm Briefe, darin heißt es etwa: „Selbstmord ist feige, besonders wenn man ein langes Leben vor sich hat. Mit Sicherheit werden Sie in nicht allzu langer Zeit ein freies und neues Leben beginnen können.“ Bachmann antwortete 1969: „Ich möchte nochmals mein Bedauern über das aussprechen, was ich Ihnen angetan habe.“ Im Februar 1970 beging Bachmann in seiner Zelle Suizid.

Dutschke überlebte das Attentat elfeinhalb Jahre lang. Nach langem Klinikaufenthalt in London nahm er einen Lehrauftrag an der dänischen Universität Aarhus an und engagierte sich stark in der Umweltbewegung. Zu Weihnachten 1979 starb Dutschke unerwartet an den Spätfolgen des Attentats. Er ertrank zu Hause bei einem epileptischen Anfall in seiner Badewanne und hinterließ eine Frau und drei Kinder.

science.ORF.at/dpa/AFP

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