Verscherbelte Kirchengüter

In der Zwischenkriegszeit war die Not in Österreichs Klöstern groß: Viele von ihnen mussten ihre Kulturschätze zu Spottpreisen verkaufen, um überleben zu können. Eine Tagung am Wiener Schottenstift beleuchtet dieses kaum beachtete Kapitel der Zeitgeschichte.

„Sonst wären wir einfach im Elend versunken“ - so lautet der Titel des Vortrags von Sonja Führer, Bibliothekarin der Stiftskirche St. Peter in Salzburg . Nach dem Ersten Weltkrieg war das Stift schwer verschuldet, unter anderem wegen der Kriegsanleihen, später verschlechterte die anhaltende Wirtschaftskrise die Lage. Man entschloss sich zunächst zum Verkauf von Büchern, später auch von kostbaren Handschriften und Kunstgegenständen. Die Händler kamen aus dem In- und Ausland.

„Die Händler sind von sich aus an die Stifte herangetreten oder sie wurden von den Stiften direkt angesprochen - wir haben jetzt zum Beispiel zwei mittelalterliche Handschriften, das könnten wir anbieten, so in dieser Art“, erzählt Sonja Führer, die sich anlässlich der Tagung erstmals intensiv mit der Geschichte der Verkäufe in der Zwischenkriegszeit am Stift St. Peter auseinandergesetzt hat.

Tagung will Aufarbeitung leisten

Um zu verkaufen, benötigten die Klöster und Orden eine Genehmigung des Bundesdenkmalamtes. Ohne diese Genehmigung war es verboten, Gegenstände geschichtlicher und kultureller Bedeutung zu veräußern und auszuführen. Doch nicht alles verlief auf legalen Wegen, auch das ist Thema der Tagung in Wien.

Organisiert hat sie das Institut für Österreichische Geschichtsforschung und die Österreichische Nationalbibliothek sowie die Ordensgemeinschaften Österreich und das Stift Lilienfeld. Man möchte sich einen Überblick verschaffen über das verkaufte Kirchengut – und auch über die Wege, die die Objekte seitdem zurückgelegt haben.

Historische Aufnahme: Benediktiner vor ihrem Stift, Sankt Paul im Lavanttal

St. Paul im Lavanttal, Stiftsarchiv

Verkauf der Gutenbergbibel von St. Paul im Lavanttal: Abfahrt der Rechtsvertreter des Klosters nach Wien, wo die Übergabe an den amerikanischen Käufer Otto Vollbehr erfolgte (1930).

Im Stift St. Peter in Salzburg beispielsweise wurden in dieser Zeit rund ein Drittel der Inkunabeln, das sind Frühdrucke, verkauft sowie die drei wertvollsten Handschriften. Meist zu einem Spottpreis, meint Sonja Führer. „Wertangaben für eine Zeit, in der die Hyperinflation eingesetzt hat, sind schwierig. Aber die Stifte haben jede Handschrift wahrscheinlich zu einem Viertel des zuerst angesetzten Wertes verkauft“.

Die Frühdrucke, Handschriften und Kunstgegenstände aus österreichischen Klöstern sind heute weltweit verstreut. Einer der Hotspots ist allerdings die Bodleian Library in Oxford, wo relativ viele der damals verkauften Handschriften aufbewahrt werden. Doch es gibt auch weiße Flecken: nicht jeder Kauf ist dokumentiert worden, Briefmaterial und Rechnungen sind verlorengegangen.

Handschrift des 12. Jahrhunderts aus Stift Melk

Oxford, Bodleian Library, Lyell MS 58

Eine Handschrift des 12. Jahrhunderts aus Stift Melk. Sie befindet sich heute in der Bodleian Library in Oxford, wohin sie aus dem Nachlass des englischen Rechtsanwalts und Sammler James P. R. Lyell gelangt ist.

Zwiespältige Rolle der ÖNB

Die Österreichische Nationalbibliothek kooperierte mit dem Bundesdenkmalamt bei der Begutachtung einzelner Handschriften und Bücher vor deren möglichem Verkauf ins Ausland. Experten der Nationalbibliothek schrieben etwa Gutachten über die Bedeutung des Objektes für die österreichische Kulturlandschaft und hatten Mitsprache bei den Vorschlägen für einen Mindestverkaufspreis.

Gleichzeitig war die Nationalbibliothek auch ein Käufer und besaß schon damals den größten Bestand an Handschriften und Frühdrucken Österreichs. Auch diese konfliktreiche Doppelrolle ist Thema auf der Tagung, die noch bis heute Abend am Schottenstift in Wien stattfindet.

Explodierende Preise

Zwar profitierten die Händler von der Not der Klöster. Doch viel Geld ließ sich auch für sie anfangs nicht machen. In den USA und in Großbritannien gab es geringe Nachfrage für die mittelalterlichen Texte, die meist kaum Abbildungen enthielten.

Erst in den letzten Jahren zeichnete sich eine Trendwende ab, erklärt Christopher de Hamel vom Corpus Christi College Cambridge. Er ist Experte mittelalterlicher Handschriften und als solcher auch für Auktionshäuser tätig. „Vor kurzem musste ich den Versicherungswert eines Buches einschätzen, das aus dem Stift Admont stammt und in der Zwischenkriegszeit verkauft wurde. Es stammt aus dem 12. Jahrhundert – und ist heute, meiner Einschätzung nach, eine Million Euro wert.“

An einen Rückkauf des Kulturguts ist bei solchen Preisen für die Klöster wohl kaum zu denken. Für Sonja Führer geht es bei der Beschäftigung mit diesem Thema eher darum, Licht in eine bisher verschwiegene Zeit zu bringen. „Natürlich hätten wir diese Kulturgüter gerne wieder zurück. Aber man muss so realistisch sein zu sagen, das ist die Geschichte unseres Hauses, das waren Verkäufe, die in einer Notsituation stattgefunden haben - und wir können nur hoffen, dass es in der Zukunft nicht mehr zu solchen Situationen kommt.“

Hanna Ronzheimer, science.ORF.at

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