Begnadete Taucher dank „Supermilz“
„In Sachen Arbeitszeit unter Wasser stehen Seeotter den Bajau am nächsten“, sagt die Studienautorin Melissa Ilardo von der Universität Kopenhagen. „Auch sie verbringen rund 60 Prozent ihrer Zeit im Wasser.“
Studie
”Physiological and genetic adaptations to diving in Sea Nomads”, Cell, 19.4.2018
Die aus mehreren Untergruppen bestehende Ethnie der Bajau bewohnt Hausboote auf Inseln von Indonesien, Malaysia und den Philippinen. Sie sind Seenomaden, die seit Jahrtausenden vom und zum größten Teil im Meer leben – auch wenn sich das in den vergangenen Jahrzehnten leicht verändert hat und viele von ihnen sesshaft geworden sind.
Melissa Ilardo
Innere Organe untersucht
Ihre Tauchmethode ist jedenfalls die gleiche geblieben: Nur mit Gewichten belastet und einer Holzmaske auf dem Kopf können Bajau mehr als 70 Meter tief tauchen. Wie lange sie es unter Wasser aushalten, wurde nicht gemessen, es sollen aber mehr als zehn Minuten sein.
Das sind erstaunliche Fähigkeiten, die auch die Aufmerksamkeit von Rasmus Nielsen erregt haben. Der Evolutionsbiologe von der University of Berkeley hatte untersucht, wie die Bewohner des Hochlands von Tibet mit Höhenlage und Sauerstoffmangel umgehen – und dabei eine spezielle Genvariante entdeckt. Die Bajau haben ein ähnliches Problem, nur liegt ihre Unterversorgung mit Sauerstoff nicht an der Höhe, sondern am Wasser.
Um zu überprüfen, wie sie es lösen, hat Melissa Ilardo, eine Doktorandin von Nielsen, 2015 ein paar Monate bei einer Gruppe Bajau in Indonesien verbracht und bei 59 von ihnen die inneren Organe per Ultraschall untersucht. Das gleiche tat sie auch bei 34 Vertretern der Saluan – ein Nachbarvolk, das vorwiegend aus Landbewohnern besteht.
Melissa Ilardo
Zehn Prozent mehr Sauerstoff ins Blut
Der Vergleich war ebenso eindeutig wie überraschend: Die Milz der Seenomaden war im Schnitt um die Hälfte größer als jene der Saluan. Das passt zu Befunden aus dem Tierreich: Manche Arten, etwa ausgezeichnete Taucher wie die Weddellrobben, verfügen über überproportional ausgeprägte Milzen.
Und beim Tauchreflex des Menschen spielt die Milz ebenfalls eine wichtige Rolle: Dabei verlangsamt sich nicht nur der Herzschlag, sondern auch die Milz pumpt mehr sauerstoffhaltige rote Blutkörperchen in das Blutsystem – ein Plus, das bei den Bajau bis zu zehn Prozent beträgt, wie Illardo und ihr Team berechnet haben.
Ö1-Sendungshinweis
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 20.4., 13:55 Uhr.
Die bis um die Hälfte größeren Milzen fanden die Forscher nicht nur bei den aktiven Tauchern der Bajau, sondern auch bei jenen, die bevorzugt am Land leben. Dies legte nahe, dass die „Supermilz“ nicht nur wie ein trainierter Muskel gewachsen ist, sondern eine Grundlage im Erbgut haben muss.
Und genau das bestätigte sich bei nachfolgenden DNA-Untersuchungen. Die Bajau tragen ein spezielles Gen in ihrem Erbgut (“PDE10A”), das den benachbarten Saluan fehlt. Das Gen stellt ein Enzym her, das die Freisetzung bestimmter Schilddrüsenhormone mitbestimmt – und diese hängen mit der Größe der Milz zusammen, wie man von Mäusestudien weiß.
Melissa Ilardo
Eine hartnäckige Studie
Laut Ilardo ist ihre Studie die erste, die eine Adaption des Erbguts bei tauchenden Menschen entdeckt hat. Ein Ergebnis, das auch auf einer guten Portion Hartnäckigkeit beruht. Denn ihre beiden Doktorväter, Eske Willerslev und Rasmus Nielsen hatten ihr ursprünglich davon abgeraten.
„Wir haben ihr gesagt, dass das eine sehr riskante Doktorarbeit ist. Es war gut möglich, dass sie überhaupt nichts findet. Sie wollte es aber in jedem Fall durchziehen, und das hat sich ausgezahlt. Melissa hatte Recht, wir hatten Unrecht“, so Willerslev.
Die Studie könnte auch für die Medizin interessant sein. Denn beim Tauchreflex spielen sich ähnliche körperliche Vorgänge ab wie bei der klinisch bekannten akuten Hypoxie – einem Zustand plötzlicher Unterversorgung mit Sauerstoff.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at