Wischen statt Riechen

Einander „gut riechen zu können“, ist in der Liebe sicher von Vorteil. Die Biologie sieht im Körpergeruch einen Hinweis auf gesunde Nachkommen. Doch wie wichtig der Geruch im Zeitalter von Tinder & Co. wirklich ist, bleibt auch unter Partnerwahlexperten umstritten.

Science.ORF.at hat bei der Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher von der Universität Wien nachgefragt.

science.ORF.at: Haben Sie Ihren Ehemann am T-Shirt erschnüffelt?

Elisabeth Oberzaucher: Nein, da haben natürlich auch andere Faktoren eine Rolle gespielt. Obwohl, es gibt in den USA Partnervermittlungsinstitute, die tatsächlich sogenannte „Sweaty T-Shirt Partys“ veranstalten, wo man an vielen getragenen T-Shirts riecht, um den Richtigen zu finden. Das ist aber natürlich nur ein Gag. Ich würde nicht davon ausgehen, dass man am T-Shirt schnüffeln muss, um seinen Partner auszusuchen. Das ist ein unbewusster Teil des Entscheidungsprozesses, der eher am Anfang der Evaluierung des Gegenübers stattfindet.

Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtet heute auch das Ö1-Mittagsjournal ab 12 Uhr.

Man muss sich überlegen, was wir beim Kennenlernen alles machen. Wir sehen jemanden, nehmen wahr, wie sich diese Person bewegt, wir kommen uns näher und können diese Person riechen. Dann kommen noch die ganzen anderen Faktoren dazu: Was sagt diese Person? Gibt sie Dinge von sich, die sich mit meinen Vorstellungen und Werten vereinbaren lassen? Haben wir gemeinsame Hobbies? Das ist keine vollständige Auflistung, aber all diese Dinge fließen mit ein in diesen Entscheidungsprozess.

Auf Tinder und Partnervermittlungsportalen finden heute ebenfalls Paare zueinander. Sie sehen ein Bild, schreiben, erst später trifft man sich. Spielt der Geruch demnach immer weniger eine Rolle?

Nein, nur kommt die Reihenfolge, wie die einzelnen Faktoren in die Entscheidungsfindung einfließen, ein bisschen durcheinander. Während wir im richtigen Leben zuerst eher die biologischen, nicht sprachlichen Informationsquellen zu Rate ziehen, ist es bei Online-Plattformen eher so, dass wir mehr Infos wie Hobbies, Ausbildung etc. als Basis heranziehen. Das sind Faktoren, die wir im richtigen Leben erst zu einem späteren Zeitpunkt erfahren können - abgesehen vom Foto. Ob diese umgestellte Reihenfolge auch zu einer anderen Gewichtung der Faktoren führt, ist unklar. Es gibt aber noch keinen Grund dazu, die Rolle des Geruchs zu entwerten.

Weiß man, welche Rolle der Geruch unter all den anderen Faktoren spielt? Ist es also eher ein Lottogewinn, den idealen Geruchspartner zu finden?

Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Wir erkennen am Geruch, ob das Immunsystem des Anderen zu unserem passt. Es geht dabei darum, dass der Geruch ähnlich, aber nicht zu ähnlich ist. Es folgt aber keinem Null- und Eins-Prinzip, wo es nur eine Person gibt, die passt. Das heißt, ich habe vielmehr einen Bereich, der für meine Ansprüche als optimal anzusehen ist, und aus diesem Bereich werde ich mich bedienen. Dann kommen natürlich auch noch die ganzen anderen Faktoren mit ins Spiel, von den biologischen bis hin zu den sozialen. Wenn man alles zusammen mitbedenkt, dann spielt der Geruch eine sehr kleine Rolle. Aber er spielt eine Rolle.

Diese Rolle hat auch der Schweizer Biologe Claus Wedekind untersucht, erstmals 1995. Demnach sucht man sich mit Hilfe der Nase einen Partner, der jene Immungene besitzt, die sich von den eigenen möglichst unterscheiden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass potenzielle Nachkommen ein vielfältiges und robustes Immunsystem bekommen, so die Theorie. Rund zwanzig Jahre später veröffentlichten die Sozialpsychologin Daria Knoch und ihr Team eine Studie im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B“, wonach zwar Frauen ihre Männer „mit der Nase“ aussuchen, Männer selbst die immunologisch optimalen Frauen nicht „erschnüffeln“ können. In der aktuellen Ausgabe des Fachjournals widerspricht Wedekind in einer Replik, er hält die Schlussfolgerung für verfrüht. Knoch und Kollegen hingegen verteidigen ihre Studie.

Frau Oberzaucher, wie beurteilen Sie den Disput ihrer Schweizer Kollegen?

Dass das Ergebnis nun für Männer anders ist als für Frauen, überrascht mich nicht und entspricht dem, was man lange angenommen hat. Der Disput wundert mich also. Ich denke, die Diskussion wird falsch geführt, weil hier von einem linearen Zusammenhang zwischen der Variabilität des Immunsystems und der Partnerwahl ausgegangen wird. Das Geruchssystem ist jedoch aufgrund der genetischen Vielfältigkeit wahnsinnig komplex. Wir müssten eigentlich mit sehr viel größeren Datensätzen arbeiten, als wir das derzeit tun. Man muss noch ganz viele Studien machen, um hier genaue Aussagen machen zu können.

Die Studie ist nun eine von wenigen, die überhaupt überprüft hat, ob Männer auf den Eigenduft der Frau reagieren. Warum wird das so selten gemacht?

Aufgrund unserer Hypothesen stellen wir manche Forschungsfragen häufiger. Wir gehen beim Menschen davon aus, dass hauptsächlich die Frauen den Partner auswählen und Männer um die Gunst konkurrieren - ob das jetzt wirklich hundertprozentig so ist, steht noch ein bisschen in den Sternen. Ein umgekehrtes Phänomen haben wir beim optischen Erscheinungsbild: Da gibt es viel mehr Studien über attraktive Frauengesichter als über attraktive Männer. Das macht uns sicher auch ein wenig blind. Zum Glück werden nun zunehmend Fragen gestellt, die nicht unbedingt dem Mainstream entsprechen. Dadurch werden wir hoffentlich ein vollständigeres Bild erlangen.

Warum geht man überhaupt davon aus? Können Frauen besser riechen?

Viele Studien haben gezeigt, dass Frauen im Durchschnitt mehr Gerüche unterscheiden können als Männer. Man könnte sagen, dass der Geruchssinn von Frauen stärker ausgeprägt ist. Und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir hier stärkere Effekte sehen.

Könnte es auch sein, dass die bisherigen Annahmen ganz falsch sind und der Geruch bei der Partnerwahl für niemanden eine erhebliche Rolle spielt?

Ausgeschlossen ist in der Wissenschaft gar nichts. Wenn wir nicht dazu bereit sind, alte Annahmen zu verwerfen, dann verschließen wir uns dem Fortschritt. Um auf ihre Frage zu antworten, ja, es könnte sein, dass wir zu einem anderen Schluss kommen. Jetzt schon zu sagen, es ist alles falsch, halte ich für verfrüht.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu diesem Thema: