Freud kehrt überlebensgroß zurück

Am 4. Juni 1938 musste Sigmund Freud Österreich verlassen, vertrieben von den Nazis. Genau 80 Jahre später kehrt er nun überlebensgroß zurück - als Statue, die vor der Medizinuni Wien aufgestellt wurde.

„Das ist ein wichtiges Zeichen für die Medizinuni, für Wien, aber auch nach Außen in die Welt“, sagt Stephan Doering, Vorstand der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie an der Medizinuni. „Denn neben Mozart ist Sigmund Freud der bekannteste Österreicher aller Zeiten und der meistzitierte Forscher. Er wurde als Jude vertrieben und hat bisher nur wenig symbolische Anerkennung in diesem Land bekommen.“

Ein eher grimmiger Blick

Mit dem heutigen Tag ändert sich das ein wenig: Die Statue blickt recht grimmig und leicht nach rechts. Freud trägt Anzug mit Krawatte, der rechte Arm steckt in der Uhrentasche, die Beine sind gekreuzt. So sitzt der Bronze-Freud auf einem ebenso bronzefarbenen Stein. Montagvormittag wurde die Statue, die von dem kroatischen Künstler Oscar Nemon stammt, enthüllt.

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In den 30er Jahren freundete sich Nemon mit Freud in Wien an und stellte – nachdem dieser für ihn Modell gesessen hatte – eine rund 60 Zentimeter große Statue her. Zum 80. Geburtstag Freuds 1936 hätte sie in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung aufgestellt werden sollen. „Dazu ist es aus politischen Gründen nicht mehr gekommen“, erzählt Doering gegenüber science.ORF.at. „Ein Exemplar steht in der New Yorker Psychoanalytischen Gesellschaft.“

Wie Freud floh auch Nemon nach London, wo er nach gleichem Vorbild eine größere Variante der Statue anfertigte. Mit starker Unterstützung des britischen Psychoanalytikers Donald Winnocott wurde diese 1970 in London-Hampstead aufgestellt – ganz in der Nähe von Freuds Wohnhaus und heutigem Freud-Museum.

Die Statue in London

Lukas Wieselberg, ORF

Die Statue in London

Keine Initiative Österreichs

Der zweite Abguss ist nun ab sofort in Wien zu sehen. Was nicht auf eine Initiative aus Österreich zurückzuführen ist, wie Doering zähneknirschend verrät: „Die Idee stammt von der Tochter und Schwiegertochter Oscar Nemons, die seinen Wunsch verwirklichen wollten, die Statue nach Wien zu bringen – dort, wo sie ursprünglich hätte stehen sollen.“ Die beiden haben Kontakt mit Wiener Institutionen aufgenommen, letztlich hat die Medizinuni die Idee unterstützt und die Hälfte der Kosten von rund 100.000 Euro zur Verfügung gestellt – der Rest kam über eine Crowdfunding-Kampagne herein.

Den Zeitpunkt zur Enthüllung der Statue hat die Medizinuni mit Bedacht gewählt. Denn genau 80 Jahre zuvor, am 4. Juni 1938 um 15:25 Uhr hat Freud an Bord des „Orient-Express“ Wien vom Westbahnhof aus in Richtung Paris verlassen. Was die Nationalsozialisten angerichtet haben, ist nicht gutzumachen, „Freud ist vertrieben worden und wird nicht mehr zurückkehren“, sagt Doering. „Wir wollen deshalb nicht so tun, als ob wir etwas ungeschehen machen können. Wir können aber die Erinnerung aufrechterhalten und eine lebendige Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Arbeit hier in Wien ermöglichen.“

Die Statue in Wien

APA/Hautzinger

Die Statue in Wien

Diese Tradition sieht Doering in Wien gut aufgehoben. Hier gebe es eine der wenigen Medizinunis der Welt mit eigener psychoanalytischer Klinik, Freud sei fixer Bestandteil von Ausbildung und Forschung. Viele Therapien heute würden auf seine Lehren zurückgehen, und zwar nicht nur die psychoanalytisch orientierten. „Auch Verhaltenstherapien stellen etwa bei Borderline-Patienten das Beziehungsverhalten und -erleben in den Mittelpunkt und sprechen darüber, wie die Patienten ihre Beziehung zum Therapeuten erleben. Das ist die zentrale Idee der Psychoanalyse, die vielfach verfeinert und überarbeitet wurde, aber immer noch aktuell ist.“

Am Montag wurde die Statue enthüllt, anwesend waren neben Doering und Medizinuni-Wien-Rektor Markus Müller auch Lord David Freud, der Urenkel von Sigmund Freud, Aurelia Young, die Tochter von Oscar Nemon, und Bildungsminister Heinz Faßmann.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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