Wie gewonnen, so zerronnen

Im heurigen Winter ist mehr Schnee gefallen als in den Jahren zuvor. Ein extrem warmer Frühling und Sahara-Staub setzten den Gletschern Österreichs danach aber stark zu, wie die Gletscherforscher Andrea Fischer und Hans Wiesenegger berichten.

Nach einigen extrem schneearmen Wintern ließ sich Frau Holle im Winter 2017/18 nicht lumpen und zauberte zumindest durchschnittliche Schneemengen auf die Gletscher. Doch schon lange vor Ende des Gletscherwinters, normalerweise Anfang Mai, begann schon die Schmelze anstelle zusätzlicher Schneefälle. Häufige Föhnlagen sorgten zudem für umfangreiche Anlagerungen von Sahara-Staub, der die Gletscheroberfläche verdunkelt und so die Schneeschmelze noch beschleunigt. Anfang Juni waren bereits die ersten Gletscherzungen schneefrei, und der Schnee taute bis zu den höchsten Gipfeln Österreichs.

Porträtfotos von Andrea Fischer und Hans Wiesenegger

Fischer/Wiesenegger

Biografien und Links von Autorin und Autor

Andrea Fischer ist Gletscherforscherin am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Ihr Hauptforschungsgebiet sind Gebirgsgletscher und deren Änderung im Klimawandel.

Hans Wiesenegger ist Leiter des Hydrographischen Dienstes (HD) des Landes Salzburg. 1893 gegründet und in allen Bundesländern vertreten, ist der HD unter anderem für die Datenerhebungen zum quantitativen Wasserkreislauf (inkl. Gletscher) zuständig. Die Daten werden vom Hydrographischen Zentralbüro beim Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus veröffentlicht.

Das Gletschertagebuch auf science.ORF.at initiierte Heinz Slupetzky im Jahr 2003, dem ersten einer Reihe von Jahren mit extremer Gletscherschmelze. Heinz Slupetzky war Leiter der Abteilung für Gletscher- und vergleichende Hochgebirgsforschung sowie der Hochgebirgs- und Nationalparkforschungsstelle Rudolfshütte. Im Jahr 2018 hat er die Betreuung des Gletschertagebuches an Andrea Fischer und Hans Wiesenegger übergeben.

Der Verlauf des Gletscherwinters

Schnee aus dem Winter, aber vor allem auch Schneefälle während des Sommers schützen das Eis der Gletscher vor dem Schmelzen. Fällt wenig Schnee, schmilzt mehr Eis, und die Gletscher verlieren an Substanz. Im September 2017 bedeckte noch ein dünnes Schneepflaster die im Sommer 2017 wieder extrem stark abgeschmolzenen Gletscher. Die dünne Schneedecke reichte meist aus, um die trockenen Herbstmonate Oktober und November 2017 zu überbrücken.

Zu Beginn des Kernwinters im Dezember lag also Schnee, aber weniger als im langjährigen Mittel. Pünktlich zu Beginn der Skisaison kam der von vielen erhoffte Schneefall bis in die Täler, und im Unterschied zu den Vorjahren konnten sich Wintersportler mit und ohne Aufstiegshilfen über sehr gute Bedingungen freuen. Die Niederschlagsmengen im Dezember fielen durchschnittlich, jene im Jänner sogar überdurchschnittlich aus.

Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) errechnete, dass der Meteorologische Winter (Dezember bis Februar) einer der niederschlagsreichsten Winter der letzten 30 Jahre war. Ab Februar allerdings fiel auf den Gletschern deutlich weniger Schnee als im langjährigen Mittel.

Trotz unterdurchschnittlicher Winterschneemenge war das Stubacher Sonnblickkees am 28.5.2018 noch zum größten Teil schneebedeckt. Am 12.6. waren schon Teile der Gletscherzunge schneefrei.

Robert Delleske, georesearch.at

Trotz unterdurchschnittlicher Winterschneemenge war das Stubacher Sonnblickkees am 28.5.2018 noch zum größten Teil schneebedeckt. Am 12.6. waren schon Teile der Gletscherzunge schneefrei.

Gletscherwinter am Stubacher Sonnblickkees

Die Schneehöhen werden zu Beginn der Schmelzsaison, d.h. am 1. Mai gemessen. Der Gletscherwinter, in dem der Gletscher Masse aufbaut, ist zu diesem Zeitpunkt meist beendet, und die Gletscher müssen während der heißen Tage nun von ihrem Guthaben aus dem Winter zehren. Ist das Schneeguthaben aufgebraucht, schmilzt das Eis, und der Gletscher verliert nun an Masse.

Am Stubacher Sonnblickkees lag am 1. Mai rund ein Meter Schnee weniger als im langjährigen Mittel. Die Messreihe wurde von Heinz Slupetzky im Jahr 1964 initiiert und zählt damit zu den längsten und aussagekräftigsten Messreihen Österreichs.

Am 1. Mai 2018 lag am Stubacher Sonnblickkees mehr als ein Meter weniger Schnee als im langjährigen Mittel 1964-2013 (Datenquelle: Hydrographischer Dienst  Salzburg).

Andrea Fischer

Am 1. Mai 2018 lag am Stubacher Sonnblickkees mehr als ein Meter weniger Schnee als im langjährigen Mittel 1964-2016 (Datenquelle: Hydrographischer Dienst Salzburg).

Ostalpen hatten mehr Schnee

Anfang Mai lag durchschnittlich viel Schnee auf Österreichs Gletschern, mit unterschiedlicher Schneemenge von Ost nach West: Während am Hallstätter Gletscher unterhalb des Hohen Dachsteins Anfang Mai etwa ein Meter mehr Schnee als im langjährigen Mittel lag, wie Kay Helfricht und Klaus Reingruber ermittelten, gab es im Nationalpark Hohe Tauern im Osten überdurchschnittlich viel, im Westen durchschnittlich wenig Schnee. Auf den Gletschern am Hohen Sonnblick, dem Goldbergkees und dem Kleinfleißkees fiel die Winterbilanz um ein Viertel höher als im Durchschnitt aus.

Laut Bernhard Hynek von der ZAMG waren die aufgezeichneten Schneemengen sogar die höchsten seit Beginn der Messungen im Jahr 1987. Auf beiden Seiten des Großvenedigers - im Norden am Venedigerkees und im Süden am Mullwitzkees - lagen die Winterbilanzen im langjährigen Durchschnitt, wie Bernd Seiser und Martin Stocker Waldhuber (IGF/ÖAW) von ihren Messungen berichten. Am Vernagtferner in den Ötztaler Alpen war die Schneemenge zu Beginn der Schmelzperiode durchschnittlich.

Schneeschacht am Venedigerkees mit Saharastaub an der Oberfläche.
Anfang Mai lag auf allen Gletschern Saharastaub.

IGF/ÖAW

Schneeschacht am Venedigerkees mit Sahara-Staub an der Oberfläche. Anfang Mai lag auf allen Gletschern Sahara-Staub. Der Schnee war dichter als im Durchschnitt und somit die Schneehöhe bei gleichem Wassergehalt geringer.

Wie Christoph Mayer von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften berichtet, wird die Zunge des Vernagtferners den nächsten Tagen schneefrei, wie man live auf der Webcam verfolgen kann. Ganz im Westen Österreichs, am Jamtalferner im österreichischen Teil der Silvretta, lag etwas weniger Schnee als im langjährigen Mittel.

Die Situation bei den Nachbarn

In Südtirol und in der Schweiz geht es den Gletschern etwas besser als in Österreich. Für die Schweiz berichtet Andreas Bauder von der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH Zürich durchwegs überdurchschnittliche Winterschneemengen: Ein erster Eindruck aus den Messungen an 15 Gletschern zeigt einen Trend von etwa plus 20 Prozent im Osten hin zu plus 60 Prozent im Südwesten zum langjährigen Mittel. Für die meisten Messreihen sind es Rekordwerte der letzten zehn bis 15 Jahre. Es gibt aber auch Ausreißer: Die höchstgelegene Messstelle am Jungfraujoch zeigt, wie auch der Silvrettagletscher (auf der Schweizer Seite), nur durchschnittliche Schneemengen.

In Südtirol war der Frühlingsanfang nach dem schneereichen Hochwinter eher trocken, wie Roberto Dinale vom Hydrographischen und Glaziologischen Dienst der Südtiroler Landesverwaltung berichtet. Die Winterbilanzen 2018 von Langenferner, Übeltalferner und Rieserferner lagen um die jeweiligen langjährigen Durchschnittswerte. Die Schneedeckenverteilung war vor allem in den hohen Lagen stark von der Windverfrachtung gekennzeichnet.

Der Beginn der großen Schmelze?

Der zweitwärmste meteorologische Frühling der Messgeschichte (plus 2,0 Grad Celsius über dem Mittel von 1981-2010) setzte der Schneedecke aus dem Winter stark zu. Mit den hohen Temperaturen im wärmsten April seit 1800 (+4,6°C) und im wärmsten Mai seit 1868 (+2,6°C) fiel auch der Schneefall auf den Gletschern aus, der in normalen Jahren noch einiges zum Massengewinn beiträgt.

Stattdessen begann der Massenverlust auf den Gletschern früh und reichte bis in größte Höhen hinauf, in denen normalerweise die Schmelze erst viel später beginnt und mehr Schnee liegenbleibt als über den Sommer schmilzt. Die Gipfelbereiche der Gletscher wurden von der Schneeschmelze Anfang Juni 2018 erfasst: an der Station Weißseespitze im Tiroler Kaunertal auf knapp 3.500 Meter wurden tagsüber bis zu fünf Grad Celsius Lufttemperatur gemessen. Auch nachts sanken die Temperaturen kaum unter den Gefrierpunkt.

Der Beginn der Schneeschmelze auf Österreichs höchsten Gipfeln Anfang Juni fiel auch zusammen mit dem Beginn der Schmelze am Grönländischen Eisschild, wie von Xavier Fettweis und seinem Team an der Universität Liege berechnet.

Die gelb-bräunliche Saharastaubschicht beschleunigt die Schmelze.

IGF/ÖAW

Die gelb-bräunliche Sahara-Staubschicht beschleunigt die Schmelze

Wie geht es weiter?

Wir nähern uns den längsten Tagen des Jahres und kommen damit in die für unsere Gletscher entscheidende Phase. Bei Fortbestehen der warmen und feuchten Witterung werden in den nächsten Wochen große Gletscherflächen schneefrei werden. Dann setzt die Eisschmelze ein, die um diese Jahreszeit rascher und intensiver vor sich geht als etwa Ende August. Eine Kaltfront mit Schneefall auf den Gletschern kann die Ausaperung aber auch um einige Tage oder Wochen verzögern.

Mittlerweile sind große Teile der Gletscher nur mehr mit dünnem Eis bedeckt, längere Schmelzphasen führen tendenziell auch zu größeren Flächenverlusten. Es wird also immer spannender, wie die nächsten Wochen verlaufen! Die von der ZAMG gemessene Schmelze auf der Pasterze, dem Goldbergkees und dem Kleinfleißkees im Nationalpark Hohe Tauern kann live über Webcams beobachtet werden.

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