Für Musikforscherin und Mathematiker

Der Wittgenstein-Preis geht heuer an zwei Forscher: die Musikethnologin Ursula Hemetek, die zur identitätsstiftenden Rolle von Musik bei Minderheiten forscht, und den Mathematiker Herbert Edelsbrunner, Mitbegründer der Computertopologie.

Die als „Austronobelpreis“ geltende Auszeichnung ist mit jeweils 1,4 Mio. Euro dotiert und damit der höchste Wissenschaftsförderpreis in Österreich. Die vom Wissenschaftsministerium finanzierte und vom Wissenschaftsfonds FWF vergebene Auszeichnung soll die Forschung ihrer Träger und Trägerinnen unterstützen. 2018 waren insgesamt 21 Persönlichkeiten für den Wittgenstein-Preis nominiert worden. Eine Jury unter Leitung der Kultursoziologin Janet Wolff von der University of Manchester traf die Entscheidung.

Die Musik von Minderheiten

Ursula Hemetek vom Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) forscht zur Musik von Minderheiten in Österreich. Sie untersucht etwa, welche Rolle Musik im Leben spielt und welche Stile als identitätsstiftend angesehen werden - beginnend bei burgenländischen Kroaten und Kroatinnen, später dann vor allem Musik der Roma. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Migranten und Migrantinnen in Wien sowie Fluchtbewegungen.

Von Hemetek gemachte Aufnahme: Die Roma-Sängerin Rusza Nikolic-Lakatos singt anlässlich des Attentats von Oberwart 1995 das Lied „Phurde Bajval phurde“ („Wehe Wind, wehe“)

Porträt Hemetek

mdw

Ursula Hemetek

Mit dem Preisgeld möchte Hemetek „etwas Nachhaltiges“ machen, sagt sie im Gespräch mit science.ORF.at: „Ich möchte ein Forschungszentrum für Minderheitenforschung in der Ethnomusikologie an der mdw einrichten. Das soll auch der Nachwuchsförderung zugutekommen.“ Die 61-Jährige betont, dass Ethnomusikologie eine partizipative Wissenschaft mit gesellschaftspolitischer Verantwortung ist - das werde vor allem bei der Beschäftigung mit Musik der Roma deutlich.

Identitätsstiftende Rolle, etwa bei Roma

Welche gesellschaftspolitische Rolle aus ihrer Sicht Musik für Roma in Österreich spielt, erklärt Hemetek so: „Als 1989 die erste politische Vertretung der Roma gegründet wurde und die Anerkennung der Roma als Volksgruppe angestrebt wurde, konnte mit der Verbreitung von Wissen in der Öffentlichkeit über die reichhaltigen kulturellen Ausdrucksformen der Minderheit, insbesondere der Musik zur politischen Anerkennung beigetragen werden. Ich denke, dass Musik auch heute für Roma ein wichtiger Identifikationsfaktor ist. Es ist aber zu bedenken, dass es nicht eine Romamusik gibt, sondern die Stile äußerst vielfältig sind, je nach Gruppenzugehörigkeit und Lebensraum und von zeitgenössischer Komposition, über die traditionellen Stil bis hin zur Popularmusik reichen.“

Der Einfluss Hemeteks in der Entwicklung von Zugängen, Methoden und Theorien in der Erforschung marginalisierter Gruppen und ihrer Musik wirke auf das Fach zurück, heißt es in einer Aussendung des FWF. Ihre Wahl zur Generalsekretärin der größten internationalen Vereinigung des Faches (International Council for Traditional Music) im Jahr 2017 unterstreiche ihre richtungsweisende Position in der Ethnomusikologie.

Edelsbrunner: Gründungsvater der Computertopologie

Herbert Edelsbrunner vom Institute for Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg zählt laut Aussendung des FWF zu den weltweit führenden Forschern in der Computergeometrie und -Topologie. Der 60-Jährige beschreibt sein Fach als „eine Mischung von Mathematik und Informatik“. Während es in der Mathematik um geometrische Dinge gehe, sei die Topologie eine Erweiterung der Geometrie, wo man sich für die Verformung von geometrischen Objekten interessiert.

Porträt Edelsbrunner

IST Austria

Herbert Edelsbrunner

„In den Anwendungen sind die Fragestellungen von den Verformungen viel wichtiger als etwa Fläche, Länge, Größe, usw.“, so Edelsbrunner. Daher sucht der Computerwissenschaftler immer die interdisziplinäre Zusammenarbeit - Ingenieure, Physiker oder Biologen haben alle geometrische und topologische Probleme, bei denen sich Edelsbrunners Methoden anwenden lassen. Heuer hat Edelsbrunner bereits einen mit bis zu 2,5 Mio. Euro dotierten „Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten.

Auch sechs START-Preise vergeben

Neben dem Wittgenstein-Preis wurden am Mittwoch auch sechs Spitzennachwuchsforscherinnen und -nachwuchsforscher mit einer START-Förderung ausgezeichnet: die Physikerin Emanuela Bianchi von der Technischen Universität (TU) Wien, der Informatiker Josef Norbert Füssl von der TU Wien, der Atomphysiker Philipp Haslinger vom Atominstitut der TU Wien, der Physiker Oliver Hofmann von der Universität Graz, der Biowissenschaftler Robert Junker von der Paris-Lodron-Universität Salzburg und die Geologin Gina Elaine Moseley von der Universität Innsbruck.

Die Start- und Wittgensteinpreise werden am 12. September im Rahmen des „Be Open“-Festivals zum 50-jährigen Bestehen des FWF (8. bis 12. September am Wiener Maria Theresien-Platz) verliehen.

science.ORF.at/APA

Wittgenstein-Preisträger der vergangenen Jahre: