Hooligans: Datscha oder Gefängnis

Lange war das Verhältnis russischer Fußball-Hooligans zu Wladimir Putin ambivalent. Vor der WM aber ging der Staat hart gegen sie vor. Sie sollen das Prestigeprojekt nicht stören und wurden für die Zeit der WM vor die Wahl gestellt „Datscha oder Gefängnis“.

Rassismus, Rechtsradikalismus und vor allem brutale Übergriffe bei Auslandsspielen: Russische Hooligans haben auf der internationalen Bühne derzeit einen besonders schlechten Ruf. Ein Höhepunkt der vergangenen Jahre war das Spiel gegen England bei der EM im Jahr 2016 in Marseille. Nach dem Abpfiff stürmten rund 150 russische Hooligans den englischen Fanbereich, warfen mit Gegenständen um sich und prügelten die englischen Fans halb zu Tode.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Dimensionen, 14.6., 12:00 Uhr.

Stimmen aus dem Ausland behaupteten damals, die Hooligans seien Putins „verlängerte Armee“, die im Sinne einer hybriden Kriegsführung die Politik ins Stadion verlegen. Dabei haben sich die russischen Hooligans einst vieles von den Engländern abgeschaut, erklärt Julia Glathe, Soziologin an der Freien Universität Berlin und spezialisiert auf russische Fußballkultur.

Szene der Straßenschlacht zwischen russischen und englischen Fans in Marseille 2016

AFP

Szene der Straßenschlacht zwischen russischen und englischen Fans in Marseille 2016

Wurzeln im Westen

„Die Wurzeln der Hooligan-Szene in Russland liegen ja eigentlich auch im Westen. In den 1990er Jahren, als diese Bewegung entstanden ist, hat man sich vor allem an der englischen Hooligan-Szene orientiert. Es wurden Bezeichnungen und Organisationsstrukturen übernommen. Erst seit den 2000er Jahren hat die Hooligan-Szene in Russland ein eigenes Image aufgebaut.

Russische Hooligans sind in der Regel keine dickbäuchigen, Bier trinkenden Männer mittleren Alters, sondern durchtrainierte Straight Edger: kein Alkohol, keine Drogen, viel Kampfsport. Anfang der 2000er Jahre entstand die Kultur des Free Fighting auf der Straße und im Wald. Dort trugen die Hooligans Kämpfe nach strengen Regeln aus. Die russischen Sicherheitskräfte haben diese Kämpfe lange Zeit toleriert, weil sie außerhalb der Stadien stattfanden. Doch die Free Fighting Szene wuchs – und professionalisiert sich.

Opposition von Rechts

Zudem ist in Russland die Verbindung zwischen Rechtextremismus, Hooliganismus und Kampfsport besonders stark ausgeprägt, erklärt Julia Glathe. In den 1990er Jahren nutzten rechtsextreme Gruppen die unorganisierte Fußball-Fanszene für sich und untermauerten das Fußballfantum mit ihrer Ideologie. Mit der Regierung stehen diese rechtsextremen Gruppen eher auf Kriegsfuß, erklärt Julia Glathe: „Sie kritisieren das multiethnische Staatskonzept in Russland, stehen also für ein Russland ein, das sich nur aus ethnischen Russen zusammensetzt - was natürlich eine absurde Vorstellung ist, wenn man sich Russland und Russlands Geschichte anschaut.“

Was hat es also auf sich mit dem Vorwurf, die Hooligans seien Putins verlängerte Armee? Julia Glathe meint: nicht viel. Allerdings stehen und standen Fußballfunktionäre immer wieder in Kontakt mit der rechten Hooliganszene. Alexander Schprygin etwa, der ehemalige Vorsitzende des Allrussischen Fanverbandes, kam selbst aus der Neonazi- und Hooliganszene. Doch nach den verheerenden Gewalteskapaden bei der EM in Frankreich, als deren Organisator er galt, wurde er in einem Moskauer Hotel vor laufenden Kameras festgenommen und seine Vereinigung aufgelöst.

„Hooligans wurden aber auch scheinbar im Auftrag staatlicher Sicherheitskräfte immer wieder beauftragt, oppositionelle Aktionen zu stören. Diese Gruppen haben sich also durchaus auch von staatlicher Seite vereinnahmen lassen. Auch das wird als Argument angeführt, die Hooligans wären eine Armee Putins“, meint Julia Glathe.

Ein Polizist steht vor den rivalisierenden Fangruppen Englands und Russlands in Marseille 2016

AFP

Marseille 2016 aus Polizei-Perspektive

Hooligans gefährden Prestigeobjekt WM

Derzeit wirkt es allerdings nicht so, als seien die Beziehungen zwischen Staat und Hooligans von einer besonderen Freundschaft geprägt. Seit klar ist, dass die WM in Russland ausgetragen wird, hat die Regierung die Fangesetze massiv verschärft. Einerseits sollen damit rassistische Beleidigungen wie etwa die „Affenrufe“ verboten werden, auf die sich Spieler mit dunkler Hautfarbe bisher einstellen mussten, wenn sie russische Stadien betraten. Es gibt jetzt fast immer Verhaftungen nach Ausschreitungen und auch schwarze Listen, mit denen gewalttätige Fans der Eintritt ins Stadion verwehrt wird.

Daneben fanden aber auch Aktionen statt, die nicht rechtsstaatlich legitimiert waren. Beispielsweise wurden Fans im Vorfeld der WM in Hausbesuchen massiv eingeschüchtert. „Datscha oder Knast“, soll es da geheißen haben. „Fans, die als aggressiv gelten, wurden somit vor die Wahl gestellt: Entweder sie sind während der WM auf der Datscha oder wo auch immer oder sie landen im Knast. Also die Teilnahme an der WM wird präventiv schon einmal versagt“, so Julia Glathe.

Die Hooligans stellen Russland in ein schlechtes Licht und bringen das Prestigeobjekt WM in Gefahr. Sie sind somit zumindest während der WM Putins gefährlichste Gegner, meint Julia Glathe. Dass es zu Ausschreitungen kommt, dass sich Marseille in russischen Stadien wiederholt, das wäre wohl Putins Albtraum. Die Maßnahmen, um das zu verhindern und seine Autorität unangetastet zu lassen, stehen der Gewalt der Hooligans um nicht viel nach.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

Mehr zur Fußball-WM in Russland: