Die Aggression im Blut

In einem etwas bizarren Tierversuch sind Forscher auf einen überraschenden Auslöser von Aggression gestoßen: Sie injizierten Mäusen Antikörper aus dem Blut von Gewaltverbrechern - die Nager wurden daraufhin bösartig.

CSI Norwegen. Die Vorgeschichte dieser Studie könnte einem Fernsehkrimi entstammen, so ungewöhnlich sind ihre Begleitumstände. Es beginnt mit einem forensischen Psychiater und einem Hochsicherheitsgefängnis an der Stadtgrenze von Oslo.

Henning Vaeroy, so der Name des Psychiaters, besucht regelmäßig eine Strafanstalt, wo Schwerverbrecher und Mörder einsitzen, die meisten von ihnen lebenslang. In Gesprächen mit den Häftlingen hört Vaeroy immer wieder den gleichen Satz: „Ich wusste, dass es falsch war. Aber ich konnte es nicht stoppen.“

Störung im Hormonsystem

Im Laufe der Jahre beginnt der Psychiater über die Ursachen der Taten nachzugrübeln, studiert die Fachliteratur und vertieft sich in die molekularen Regelkreise der Aggressionskontrolle. „Was kann stark genug sein, damit Menschen gegen ihren Willen ein Verbrechen begehen? Schließlich kam ich zu der Überzeugung: Es müssen die Hormone sein“, erzählt Vaeroy gegenüber science.ORF.at.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 28.6., 13:55 Uhr.

In Sergej Fetissov von der Universität Rouen, Frankreich, findet der norwegische Psychiater schließlich einen Gewährsmann, der genug Erfahrung im Bereich der Hormon- und Neurobiologie hat, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dann organisiert Vaeroy Blutproben von 16 Häftlingen. Sie zur Teilnahme an der Studie zu überreden, sei nicht schwierig gewesen, erzählt er. „Viele sagten zu mir: Ich kann meine Tat nicht rückgängig machen. Das ist das Mindeste, was ich jetzt noch tun kann.“

Antikörper machen aggressiv

So beginnt die Studie: ein Vergleich zwischen den Häftlingen und einer Kontrollgruppe, bestehend aus unbescholtenen Probanden. Der Vergleich soll zeigen, was im Körper von Gewaltverbrechern falsch läuft, sofern sich überhaupt physische Unterschiede zu Normalbürgern feststellen lassen.

Und die gibt es offenbar wirklich, wie die beiden Wissenschaftler nun im Fachblatt „PNAS“ berichten. Bei den Inhaftierten fanden Vaeroy und Fetissov eine auffällige Abweichung im Bereich des Immunsystems, genauer: bei sogenannten Autoantikörpern. Immunmoleküle also, die auch an körpereigene Substanzen binden, wie zum Beispiel das Stresshormon ACTH.

Weiße Labormaus

AP Photo/ Natacha Pisarenko

Antikörper-Injektionen verändern das Verhalten von Mäusen

Bei den Inhaftierten greifen die Antikörper an einer anderen Stelle am ACTH-Molekül an - und verändern auf diese Weise wohl auch die Aggressionskontrolle. Dass das so ist, legen zumindest Versuche mit Mäusen nahe. Versuchstiere, denen die Antikörper der Verbrecher injiziert wurden, agierten danach messbar aggressiver gegenüber Artgenossen. Antikörper aus der Vergleichsgruppe indes bewirkten das Gegenteil, sie machten die Mäuse friedlicher.

Verbindung zur Darmflora

Wie die molekulare Wirkungskette zwischen Immunsystem und aggressivem Verhalten im Detail beschaffen ist, wissen die Forscher noch nicht. Und es dürfte noch die eine oder andere zusätzliche Komplikation geben, vermutet Fetissov. Denn die Herstellung der untersuchten Antikörper vom Typ IgG „wird durch die Darmflora stimuliert. Hier greifen verschiedene Organsysteme ineinander, die Hormone, das Gehirn - und die Bakterien in unserem Darm“. Fetissov will nun vor allem die Verbindungen zu letzteren untersuchen. Er glaubt, dass man durch Probiotika das Verhalten steuern und die Aggression in kontrollierte Bahnen leiten könnte.

Vaeroy wiederum will Labortests entwickeln, die ein erhöhtes Risiko für Gewalttaten anzeigen. Dass so ein Test niemals alle Ursachen und Risikofaktoren erfassen kann, ist für den norwegischen Psychiater klar. „Aggression hat natürlich viele Ursachen. Aber nun ergibt sich erstmals die Möglichkeit, verschiedene Formen der Aggression durch Moleküle auseinanderzuhalten.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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