Tierbeobachtung aus dem All

Mittwochabend beginnen die Vorarbeiten für ein besonderes Forschungsprojekt an Bord der Internationalen Weltraumstation (ISS): Dabei wollen Forscher Tiere auf der Erde mit Minisendern ausstatten und mit Hilfe der ISS beobachten.

Irgendwo in Asien. Ein Vogelschwarm Weidenammern macht sich auf den Weg Richtung Europa. Sobald die Tiere ihre Reise beginnen, bekommen Biologen ein Signal. Welche Herzfrequenz und welche Körpertemperatur haben die einzelnen Tiere? Sind sie gesund oder tragen sie womöglich Krankheiten mit sich? All dies bekommen die Forscher gesendet – eine Utopie?

Nein - in wenigen Monaten soll das Projekt ICARUS starten und diese Vision umsetzen. „Zunächst geht es ja scheinbar nur um den Vogelzug, den wir verfolgen wollen“, erklärt Friedhelm Claasen, der bisherige Projektleiter von ICARUS beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn. „Aber der Vogelzug sagt uns eine Menge über die Natur und über die Erde insgesamt aus.“

Bei diesem Projekt gehe es beispielsweise um Vögel, die aus Asien nach Europa kommen und Grippeviren einschleppen. „Wenn wir die Wanderwege der Vögel kennen und erkennen, wann sie in China losfliegen, können wir hier in Europa die entsprechenden Impfstoffe bestellen.“

Wie die Heuschrecken

ICARUS steht für International Cooperation for Animal Research Using Space, also für eine internationale Zusammenarbeit bei der Tierforschung aus dem All. Globale Tierwanderungen zu verstehen, ist nicht nur für Zoologen spannend. Es geht auch um Erntevorhersagen, indem sich die Vögel, die Heuschrecken fressen, verfolgen lassen. Denn die Vögel sind da, wo die Heuschrecken sind. Und dort wird es zu Ernteausfällen kommen.

Das Projekt

Weltweit kümmern sich Biologen derzeit darum, Tiere weltweit mit Sensoren auszurüsten, die ihre Körperwerte aufzeichnen. „Wir wollen ein globales Beobachtungssystem für das Leben auf der Erde bekommen“, sagt Martin Wikelski, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee. „Und die beste Methode, so etwas zu machen, ist, dass wir die Lebewesen selbst abfragen.“ Dies sei auch wichtig, um verschiedene Tiere zu schützen. Denn von vielen Arten sei nach wie vor nicht bekannt, wo sie brüten oder wo sie überwintern.

Big Brother is watching you

Sensoren messen permanent den Gesundheitszustand der Tiere. ICARUS soll so als eine Art Big Brother aus dem All fungieren. „Die Sensoren speichern über einen gewissen Zeitraum Bewegungs- und Vitalfunktionsdaten der Tiere“, erläutert Johannes Weppler, der Projektleiter von ICARUS. Immer dann, wenn die Internationale Raumstation ISS in Reichweite kommt, schicken die Sensoren ihre gesammelten Daten zur ISS. Dadurch erhalten die Wissenschaftler auf dem Boden ein Update, was zwischen der vergangenen Übertragung und der aktuellen mit dem Tier passiert ist.

Vogelperspektive: Ein Flamingoschwarm von der Luft aus gesehen

TONY KARUMBA / AFP

Vogelperspektive: Das Projekt ICARUS wird - nebst Vögeln - auch Säugetiere und Fische erfassen

Am Mittwochabend werden zwei ISS-Astronauten die Empfangsantenne von ICARUS im Rahmen eines Weltraumspaziergangs an der Außenseite der Raumstation anbringen und dort entfalten. Als Vorbereitung auf den Beginn des ICARUS-Projekts sind seit Frühjahr 2017 Hunderte von Tieren weltweit mit Sensoren und Sendern ausgerüstet worden – nicht nur Vögel, auch Säugetiere wie Flughunde. „Wir haben dabei versucht, kleine Rücksäcke für die Tiere zu bauen, die ihnen nicht schaden“, so der Ornithologe Martin Wikelski. “Das ist so, als trüge ein Schulkind einen kleinen Tornister auf dem Rücken.“

Zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Und selbst ins Wasserreich wollen die Biologen mit ihren Sensoren vordringen. Denn auch die Bewegungen und Wanderungen von Fischschwärmen will man künftig aus dem All beobachten. Dazu werden die Sender unter die Haut der Tiere implantiert. „Man kann sich das so vorstellen wie bei großen Haien oder Walen, auf denen auch Fische wie Schiffshalter mitschwimmen“, erklärt Wikelski. „So sitzt dann eben der Sender auf dem Fisch, löst sich zu einer vorbestimmten Zeit und steigt an die Wasseroberfläche.“ Da von unter Wasser keine Datenübertragung möglich sei, werde der Sensor seine Informationen solange speichern und erst zur ISS schicken, wenn die Station über die entsprechende Stelle an der Wasseroberfläche fliegt.

Nach den anfänglichen mehreren Hundert sollen künftig bis zu 50.000 Tiere der verschiedensten Arten pro Jahr mit entsprechenden Sensoren bestückt werden – zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Der Receiver an Bord des russischen Servicemoduls der ISS wird sie empfangen und weiterleiten zu Nutzerzentren auf dem Boden, in Europa und in Russland. „Sobald oben die Anlage eingestöpselt ist und der Strom fließt, können wir unten anfangen, die Daten hochzuschicken“, freut sich Marti Wikelski. „Und dann können wir weltweit die Tiere und das Leben auf der Erde beobachten.“

Guido Meyer, science.ORF.at

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