Neue Hoffnung für Migränepatienten

Seit September gibt es in Österreich ein neues Migränemedikament, das die Krankheit an ihrer molekularen Wurzel bekämpft. Vorerst sollen es aber nur „hochbelastete“ Patienten bekommen.

Migräne ist eine komplexe, vielseitige Erkrankung. Allen Patienten zu helfen, ist daher eine Herausforderung. Manchmal reichen schon Hunger oder Entspannung nach einer stressigen Situation, um Migränekopfschmerzen auszulösen, erklärt der Neurologe Gregor Brössner von der Universität Innsbruck heute am Rande einer Pressekonferenz in Wien gegenüber science.ORF.at. Geschätzt sind rund eine Million Menschen in Österreich betroffen.

Monatliche Spritze

Das seit September erhältliche Medikament soll nun vor allem jenen helfen, die mehr als vier Attacken pro Monat erleiden. Es soll die Häufigkeit der Migräneanfälle reduzieren und die Attacken lindern. Vorerst wird das Medikament allerdings nur bei „hochbelasteten Migränepatienten und -patientinnen“ angewendet, bei denen alternative Prophylaxen nicht wie gewünscht wirken, erklärt Brössner, Leiter der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmete sich am 11.9. auch das Mittagsjournal.

Hinweis

Am 12.9. ist der Europäische Kopfschmerz- und Migränetag.

Einmal im Monat soll das Medikament vorbeugend unter die Haut gespritzt werden. Laut Studien ist davon auszugehen, dass sich zumindest für die Hälfte der behandelten Menschen die Migränetage halbieren werden. „Wie bei jeder Therapie ist auch hier nicht davon auszugehen, dass alle auf die Therapie ansprechen werden." Untersuchungen zufolge trifft das etwa auf ein Drittel der Patientinnen und Patienten zu. "Warum das so ist, hat unterschiedliche Gründe. Die Migräne ist einfach eine Erkrankung, die unterschiedlichste Einflussfaktoren hat.“

Wirkstoff blockiert Auslöser

Ein Einflussfaktor ist das Eiweiß CGRP. Es wird neben anderen Stoffen bei Migräneanfällen gebildet und führt zu Entzündungsreaktionen. Das wiederum verursacht die Migräneschmerzen. „Bereits in den 1990er Jahren hat man herausgefunden, dass das Eiweiß eine wichtige Rolle beim Entstehen von Migräne spielt. In einer Studie wurde sogar gezeigt, dass man einen Migräneanfall auslösen kann, wenn man einem Patienten CGRP injiziert. Auf der anderen Seite zeigt sich: Wird die Migräne erfolgreich behandel, sinkt der CGRP-Level.“

Mit dem neuen Medikament wird nun ein monoklonaler Antikörper namens Erenumab injiziert. Dieser soll verhindern, dass das CGRP-Protein an den Hirnrezeptoren andocken und somit die Entzündungsreaktion auslösen kann. Ob das Medikament besser wirkt als andere Prophylaxen, die derzeit zur Behandlung von Migräne eingesetzt werden, ist unklar. „Es gibt dazu noch keine vergleichenden Studien. Vergleicht man allerdings die bisher gewonnen Daten, scheint die Wirksamkeit der beiden Prophylaxegruppen in etwa gleich - jedoch das Nebenwirkungsprofil der neuen Substanz deutlich günstiger.“

Großer Vorteil: Fast keine Nebenwirkungen

Das heißt, Gewichtszunahme, Schwindel, Denkstörungen, Blutdruckschwankungen oder auch Haarausfall wurden bei dem neuen Wirkstoff Erenumab nicht beobachtet. Bei manchen gab es Infektionen in Nase und Hals sowie Schmerzen im Bereich der Einstichstelle. Allerdings traten diese sehr selten und nicht öfter auf als in der Placebogruppe.

„Man muss dazu sagen, es ist das erste Medikament, dessen Wirksamkeit im Rahmen der Migräne erwiesen ist.“ Bisherige Prophylaxen wurden eigentlich für andere neurologische Erkrankungen wie beispielsweise Epilepsie entwickelt. Dass sie auch gegen Migräne helfen, ist nur ein positiver Nebeneffekt.

Wie der neue Erenumab-Wirkstoff langfristig wirkt, ist aber noch unklar. Langzeitstudien fehlen nämlich. Neurologen wie Brössner weisen vor allem darauf hin, dass das CGRP-Eiweiß nicht nur Migräne auslösen kann, es hat auch eine körperliche Funktion: Es erweitert die Blutgefäße und hilft so, den Blutdruck zu regulieren. „Wir wissen noch nicht, welche Auswirkungen es hat, wenn dieses Protein dauerhaft daran gehindert wird. Deshalb wird man das Medikament bei schwangeren oder stillenden Frauen sowie bei Frauen mit aktuellem Kinderwunsch vorerst nicht einsetzen.“ Das gilt auch für Menschen mit einem erhöhten Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen.

Alternativen zu Medikamenten

Abgesehen davon ist aktuell noch unklar, ob die Krankenkassen das Medikament bezahlen. Dieses kostet monatlich etwa 500 Euro. Der Mediziner weist auch auf alternative Maßnahmen hin, mit denen die Anzahl der Migräneanfälle reduziert werden kann. „In erster Linie sollte bei allen Patientinnen und Patienten das nicht-medikamentöse Management ausgeschöpft werden.“ So sprechen viele Betroffene auf regelmäßigen Ausdauersport an - also drei bis vier Mal pro Woche. Zudem hilft es, zur selben Zeit aufzustehen und schlafen zu gehen und mit bestimmten Entspannungsübungen das eigene Stresslevel zu senken, so Brössner.

Den größten Fehler, den Migränepatienten allerdings immer wieder machen, ist zu Hause zu bleiben, warnt Brössner. „Wenn die Attacken so häufig werden, dass Sie den Alltag beeinträchtigen, soll man zum Facharzt gehen.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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