Dialektarchiv ist UNESCO-Welterbe

Österreich ist voll regionaler und lokaler Dialekte. Am Freitag wurde ihnen eine große Ehre zuteil: Die UNESCO hat eine riesige Tonbandsammlung heimischer Dialekte zum Weltdokumentenerbe erklärt. Darin enthalten sind Mundarten, die es zum Teil nicht mehr gibt – die man hier aber nachhören kann.

„Jo, jetz bin I scho boid 30 Joa Kiahran, ned, owa jetz mit da Zeit fongt si scho di Kreftn ou oh Nochlossn, ned, und es gejd nimamea sou, wias gongan is, des vüle Kiafuadan, Mahn, ned, med da Fuadakraxn hoamdrougn.“ In etwa so könnte eine Transkription aussehen von dem, was eine Kuhmagd im steirischen Kainach einem Forscher im Jahr 1953 erzählte. Aber eigentlich muss man das hören:

Das Interview mit dem Titel „Aus dem Leben einer Kuhmagd“ stammt aus dem Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Es ist Teil einer Dialekttonbandsammlung mit über 1.700 Aufnahmen und einer Gesamtdauer von 251 Stunden, aufgenommen in zahlreichen Orten aller Bundesländer. Laut ÖAW handelt es sich dabei um eine flächendeckende Dokumentation der österreichischen Dialektlandschaft im 20. Jahrhundert.

Tonbandaufnahmen aus 30 Jahren

Geadelt wird die Sammlung „Tonaufnahmen österreichischer Dialekte 1951-1983“ nun von der UNESCO, die sie am Freitag bei einer Zeremonie im Wiener Palais Harrach zum Weltdokumentenerbe erklärte – genauer gesagt: Sie wurde in das österreichische “Gedächtnis der Menschheit“ aufgenommen. In diesem nationalen UNESCO-Register finden sich wichtige Dokumente, vom österreichischen Staatsvertrag über historische Tonaufnahmen des ORF-Vorgängers RAVAG bis zum Nachlass der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.

Mit Aufnahmegeräten wie diesem wurden die Interviews gemacht

Phonogrammarchiv der ÖAW

Mit Aufnahmegeräten wie diesem wurden die Interviews gemacht

Bei der Zeremonie in Wien wurden heute neben den Dialektaufnahmen auch noch 17 andere Dokumente zum Weltdokumentenerbe erklärt, darunter das Moskauer Memorandum von 1955 und Interviews mit Opfern des Nationalsozialismus.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichten auch die Ö1-Journale, 14.9., 12.00 Uhr.

Die Dialektsammlung entstand Anfang der 1950er Jahre unter Leitung der Dialektologin Maria Hornung. 30 Jahre lang fuhren Sprachforscher und Sprachforscherinnen für ihre Interviews quer durch Österreich. Im Folgenden hört man etwa, wie Jugendliche 1958 in Wien über Fußball gesprochen haben – und dabei durchaus nicht einer Meinung waren:

Freie Rede der Interviewten

Eine Besonderheit bei diesem Projekt ist laut dem Sprachwissenschaftler Christian Huber vom Phonogrammarchiv, dass die Sprecherinnen und Sprecher in alltäglichen Konversationen und in freier Rede aufgenommen wurden. „Dialektkundler haben damals eher mit Fragebögen gearbeitet, wo einzelne Wörter im Dialekt abgefragt wurden. Bei diesem Projekt haben sie die Leute aber dazu gebracht, selbst zu sprechen, eine Geschichte zu erzählen oder auf Fragen zu antworten.“

Die Interviewten erzählen somit oft aus ihrem unmittelbaren Lebensumfeld und geben traditionelle Geschichten zum Besten. Die Aufnahmen sind deshalb nicht nur sprachlich, sondern auch sozial- und kulturgeschichtlich relevant. „Sie repräsentieren einen bemerkenswerten Teil des kulturellen Erbes Österreichs und der Identität seiner Bevölkerung“, so die ÖAW.

Die Aufnahmen bilden daher die dialektale Sprache im tatsächlichen Gebrauch ab. Da die Tonbandsammlung drei Jahrzehnte umfasst, wird auch der Wandel österreichischer Dialekte deutlich. Durch das Alter der Aufnahmen sind auch Dialekte dokumentiert, die heute bereits verschwunden sind. Einige von ihnen sind äußerst schwer verständlich, wie jener einer Frau aus dem Osttiroler Ort Kals aus dem Jahr 1951:

Vom Aussterben bedroht?

Die Dialekte, die in Österreich gesprochen werden, fasst die Sprachwissenschaft als Variationen des Bairischen - nicht zu verwechseln mit bayrisch - zusammen, lediglich in Vorarlberg werden alemannische Variationen gesprochen. Neben den Sprachen Burgenland-Kroatisch, Jiddisch und Romani gelten in Österreich laut dem UNESCO-Atlas der gefährdeten Sprachen auch bairische und alemannische Dialekte als „potenziell bedroht“.

Gefährdet sind die Dialekte laut Huber insofern, als dass gewisse Ausdrücke, die ältere Generationen noch verwendet haben, heute nicht mehr bekannt sind. Das sei aber ein ganz normaler Prozess in der Geschichte jeder Sprache. Zudem würden sich die unterschiedlichen Dialekte in Österreich immer mehr angleichen. Das liegt daran, dass Menschen heute generell mobiler sind, aber auch am höheren Medienkonsum.

Auch der verstärkte Austausch mit Deutschsprachigen aus dem Ausland trage dazu bei, dass sich Dialekte stärker an das Hochdeutsche angleichen. Dazu kommt auch das gesellschaftliche Prestige oder Nichtprestige unterschiedlicher Dialekte. Manche Leute würden sich selbst als „hinterwäldlerisch“ empfinden, wenn sie ihren Dialekt sprechen, und daher lieber jenes Deutsch imitieren, das sie etwa aus dem Fernsehen kennen, so Huber.

Dialekt als Ausdruck kultureller Vielfalt

Wenn Dialekte aussterben, geht damit auch ein Stück kulturelle Vielfalt verloren. Andererseits sei es auch nicht sinnvoll, Dialekte, die niemand mehr spricht, künstlich am Leben zu halten, sagte Sprachwissenschaftler Huber: „Wenn die Dialektausdrücke ihre Funktion in der Kommunikation der Leute untereinander verlieren, warum sollte man sie überhaupt erhalten?“

Die Nostalgie darüber, dass Dialekte aussterben, teilt er nur bedingt. „Sprache verändert sich eben, sonst würden wir heute noch Althochdeutsch sprechen.“ Natürlich sei es immer schade, wenn etwas verloren geht, aber genau deshalb sei es wichtig, Dialekte zu dokumentieren.

Eine Frau spricht 1952 in der burgenländischen Gemeinde Neuhodis über Kukuruz:

Digitalisierung geplant

Bei der Zeremonie in Wien hat der UNECSO-Fachbeirat auch an die Politik appelliert: In Österreich fehle eine nationale Strategie zur Langzeitarchivierung des digitalen Wissenschafts- und Kulturerbes. Der Beirat fordert daher, ursprünglich analoge Dokumente digital verfügbar zu machen. Das sei besonders im Bereich der audiovisuellen Dokumente dringend, weil Abspielgeräte für analoge Tonbänder rar werden.

Auch der Großteil der Dialekttonbandsammlung ist bisher nur analog auf Magnetband vorhanden. Die ÖAW-Forschungsabteilung „Variation und Wandel des Deutschen in Österreich“ plant aber in Kooperation mit dem Forschungsprojekt „Deutsch in Österreich“, die Aufnahmen zu digitalisieren, zu transkribieren und eine Datenbank zu erstellen, die dann öffentlich zugänglich sein soll.

Julia Geistberger, Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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