Schlechte Noten für Willkommensklassen

Seit dem Herbst gibt es in Österreich Deutschförderklassen für geflüchtete Kinder - ein Konzept, vergleichbar mit den sogenannten Willkommensklassen in Deutschland: Doch denen stellen Bildungspsychologen ein schlechtes Zeugnis aus.

In 11 von 16 deutschen Bundesländern ist es möglich, Schülerinnen und Schüler ohne ausreichende Deutschkenntnisse in separaten Vorbereitungsklassen zu unterrichten, bis sie dem Regelunterricht auf Deutsch folgen können. Berlin ist eines dieser Bundesländer. Dort besuchen geflüchtete Kinder seit einigen Jahren sogenannte Willkommensklassen, die bei Bedarf an Pflichtschulen eingerichtet werden.

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Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Morgenjournal, 13.12., 7.00 Uhr.

Kein Curriculum

Die Bildungssoziologin Juliane Karakayali von der Evangelische Hochschule Berlin hat in einer Studie für die deutsche Bundesregierung 18 solcher Willkommensklassen besucht, den Unterricht beobachtet und mit den Lehrenden gesprochen. Ein Problem sei, dass es in diesen Klassen keine festgelegten Unterrichtsziele gebe, so Karakayali.

Das betreffe nicht nur die Kinder und Jugendlichen, die nicht genau wüssten, was sie eigentlich lernen müssen. „Das ist natürlich auch ein sehr großes Problem für die Lehrkräfte, weil sie sich ihr eigenes Curriculum zusammenbasteln müssen“, erklärt die Bildungspsychologin. Erschwerend hinzu komme, dass viele dieser Lehrkräfte gar keine Lehramtsausbildung haben.

Ausgrenzung auf dem Schulhof

Eine weitere Schwierigkeit, die Karakayali beobachten konnte, betrifft soziale Dynamiken. Die Kinder in den separaten Klassen finden in den Pausen, am Schulhof oder beim Mittagessen wenig Anschluss und würden mitunter auch angefeindet - trotz gemeinsamer Turn- oder Zeichenstunden.

Das habe auch Folgen für den Spracherwerb, sagt die Bildungspsychologin. „Vor alle junge Schüler, zwischen sechs und zehn Jahren, lernen eine Sprache nicht, indem sie Grammatik pauken“, so Karakayali. Sie brauchen die Interaktion mit den anderen Kinder, um Dinge sagen zu können, wie: „Kann ich deinen Radiergummi haben?“ oder „Das war ein Foul!“. Das seien die viel selbstverständlicheren Formen der Alltagskommunikation, die durch den separaten Unterricht unterbunden werden.

Keine Hilfe für traumatisierte Kinder

Dem Argument, dass sich auch traumatisierte Flüchtlingskinder in solchen Willkommensklassen langsam an den neuen Schulalltag gewöhnen könnten, kann Karakayali wenig abgewinnen. Denn es gebe weder dort noch in den Regelklassen psychologisch ausgebildetes Fachpersonal, das traumatisierte Schüler unterstützen könnte.

Das Konzept der Berliner Willkommensklassen sei vielmehr eine Notlösung, kritisiert die Bildungspsychologin. Denn 2015 seien zwar viele Menschen nach Deutschland gekommen, eine Stadt wie Berlin musste sich allerdings auch schon davor mit nicht Deutsch sprechenden Kindern im Schulsystem auseinandersetzen. „Die Frage ist, ob es nicht viel sinnvoller wäre, Maßnahmen zu ergreifen, die diese Kinder eben in den regulären Schulalltag integrieren?“, so Karakayali.

Gemeinsamer Unterricht für Junge

Insgesamt kommt die Studie für Berlin zu dem Schluss, dass sechs bis zehnjährige Kinder davon profitieren würden, sofort normalen Schulunterricht zu bekommen, vor allem, was die Integration in die Gesellschaft betrifft. Eine Einschränkung gibt es laut Karakayali allerdings: Um den Erfolg beim Spracherwerb genau messen zu können, müsste man längere Vergleichsstudien machen.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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