Auf dem Weg zu Rieseneisberg

Das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ soll einen noch unbekannten Teil der Weddell-See in der Antarktis erkunden. Besonders interessant ist die Reise, weil ein abgedrifteter Rieseneisberg ein jahrtausendelang bedecktes Ökosystem freigelegt hat.

Vor einem Jahr schon sollte das britische Forschungsschiff „James Clark Ross“ die gerade freigelegte Welt unter dem fast ewigen Eis erforschen – im Juli 2017 hatte sich ein Teil des Larsen C Eisschelfs gelöst und driftet seither als Eisberg „A68“ ab. Der Eisberg ist ca. 100 Meter dick und flächenmäßig mehr als doppelt so groß wie Vorarlberg - oder so groß wie die Insel Bali (ca. 5.800 Quadratkilometer), je nachdem was man sich lieber vorstellen möchte.

Forschungsschiff "Polarstern"

AWI, Mario Hoppmann

Das Forschungsschiff „Polarstern“

Eine hastig zusammengestellte Expedition sollte damals Daten von dem einst von Eis bedeckten Ökosystem sammeln, bevor Sonnenlicht Algen, und angespülte Meerestiere es verändern. Aber das Wetter und das dichte Packeis spielten nicht mit.

Expedition in eisige Unbekannte

Die deutsche „Polarstern“ soll diese Forschungsmission jetzt nachholen. Ein Glücksfall für Expeditionsleiter Boris Dorschel vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Er hofft trotz der verstrichenen Zeit noch ein relativ intaktes und einzigartiges Ökosystem vorfinden zu können.

Aber man ginge so und so auf Entdeckungsfahrt. Die Forschungsfahrt der Polarstern ist seit fünf Jahren in Planung, lange bevor A-68 eine verborgene Welt freigelegt hat. Denn das Gebiet rund um das Larsen C Eisschelf gilt ohnehin als Neuland: Erst einmal in den 1990er Jahren ist ein Forschungsschiff in diese unwegsame Gegend an der Spitze der Antarktischen Halbinsel vorgedrungen, erzählt Boris Dorschel: „Der Bereich vor Larsen C ist Terra Incognita, ein weißer Bereich auf der Landkarte. Ein Aspekt dieser Fahrt ist ganz klar: Entdecken.“

Ö1-Sendunghinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 6.2. um 12:00

Gleich vierzehn wissenschaftliche Teams sind mit an Bord des Eisbrechers; sie kommen aus Großbritannien, Belgien, Tschechien und Deutschland. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten an unterschiedlichsten Projekten von Kartographie bis zur genetischen Analyse. Die hundert Mitglieder der wissenschaftlichen und seefahrenden Crew sollen dafür sorgen, dass man Tag und Nacht Proben und Daten sammeln kann, um das Gebiet möglichst vollständig zu erfassen; es sei ein zu großes Privileg so viele Ressourcen zur Verfügung zu bekommen, um sie nicht effizient zu nutzen, erklärt Boris Dorschel.

Wissenschaftlicher Groß- und Dauerbetrieb

Denn auch die wissenschaftliche Ausstattung kann sich sehen lassen. Während die Benthos-Biologinnen, die sich mit Lebensformen der Tiefe beschäftigen, mit speziellen Netzen und Tiefseeschlitten Meerestiere einfangen, stanzen Geologen mit langen Stahlrohren Proben aus dem Meeresboden.

Netz zur Erforschung der Unterwasserwelt

AWI, F. Roedel

Netz zur Erforschung der Unterwasserwelt

Dazu kommen Geräte aller Art, wie der Kastengreifer, der einen aquariumsartigen Ausschnitt von Meeresboden und Wasser entnimmt, oder der Kranzwasserschöpfer, um Wasserproben aus verschiedenen Schichten zu bekommen und zu analysieren. Und den Meeresboden will man hochauflösend vermessen. Es habe sich bewährt eine Karte von einem Gebiet zu haben, das man erforschen will, erklärt Boris Dorschel lachend: „Und zusätzlich gibt es auch Videoaufnahmen, damit wir auch sehen, wie es unten auf dem Meeresboden aussieht.“

Neue Arten erwartet

Alleine die wundersame Tierwelt in der eisigen Tiefe ist immer wieder für Überraschungen gut. Auf die Entdeckung neuer Arten hofft man nicht nur, eher rechnet man damit, sagt der Polarforscher. Schließlich war es Teil der Expeditionsplanung eine unbekannte Welt zu dokumentieren.

Seesterne in der Antarktis

AWI

Seesterne in der Antarktis

Und eine bedrohte Welt: Die Antarktische Halbinsel gehört zu den Regionen der Welt, wo die durchschnittliche Temperatur am deutlichsten und rasant steigt – damit ist der dortige Lebensraum durch die Erderwärmung besonders bedroht. Den Forscherinnen und Forschern auf dem Eisbrecher „Polarstern“ bleiben gut zwei Monate um diese einzigartige und vielleicht bald vergangene Welt umfassend zu vermessen und zu beschreiben.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

Mehr zum Thema