Betäubung löscht schlimme Erinnerungen

Wer Schlimmes erlebt hat, wird oft noch Jahre später von den Erinnerungen daran verfolgt. Womöglich kann man sie mit einem gängigen Betäubungsmittel aus dem Gehirn löschen bzw. abschwächen - das legen Experimente nahe.

Ein Unfall, eine Katastrophe oder der Verlust eines geliebten Menschen – schlimme Erlebnisse hinterlassen bleibende Spuren. Manche leiden unmittelbar danach oder mitunter erst viele Monate später unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

Ein zentrales Symptom dieser psychischen Erkrankung sind immer wiederkehrende Erinnerungen - oft in Form von plötzlichen Flashbacks - an das traumatisierende Ereignis. Betroffene werden heute meist psychologisch behandelt, etwa in Form einer Verhaltens-, Konfrontations- oder Gesprächstherapie. Diese sollte möglichst bald beginnen, meinen Experten. So ließe sich verhindern, dass sich die Gedächtnisinhalte dauerhaft verfestigen. Danach werde es nämlich viel schwieriger einzugreifen, sagt die gängige Lehrmeinung.

Erinnerungen formbar machen

Vielleicht gibt es aber Tricks, mit denen sich einzementierte Erinnerungen wieder destabilisieren lassen, schreiben die Forscher um Ana Galarza Vallejo von der spanischen Universidad Politecnica de Madrid in ihrer nun erschienenen Arbeit. Das legen zumindest Versuche mit Affen und Ratten nahe. Demnach werden Erinnerungen wieder instabil und formbar, wenn man sie gezielt reaktiviert.

An dieser Stelle könnten dann gezielte Manipulationen ansetzen, nicht nur in psychotherapeutischer Form, sondern auch durch Strom oder Medikamente, z.B. durch sogenannte Betablocker, die die Wirkung von Stresshormonen hemmen. In Experimenten konnten die Arzneimittel Erinnerungen an Angstgefühle verhindern.

Mit einer Kombination aus Stromimpulsen, Narkosemittel und Muskelentspannung (Elektrokonvulsionstherapie) ist es dem spanischen Team selbst bereits gelungen, emotionale Erinnerungen von depressiven Patienten abzuschwächen. Es könnte gut sein, dass eine der drei Komponenten allein dafür ausreicht, schreiben die Autorinnen, etwa das Betäubungsmittel. Gehirnbilder zeigen, dass eine Narkose die Aktivität im Hippocampus und in der Amygdala hemmt – beide Gehirnregionen spielen bei emotionalen Erinnerungen eine wichtige Rolle. Die Betäubung wäre zudem eine relativ harmlose, nicht invasive und gut verfügbare Behandlung für unerwünschte Erinnerungen.

Durch Narkose unterbrochen

Getestet haben die Forscher ihre These mit Propofol, einem handelsüblichen gut verträglichen Narkosemittel, das häufig zur Sedierung bei endoskopischen Untersuchungen verwendet wird. Das war auch bei den 50 gesunden Probandinnen und Probanden dieser Studie der Fall. Ihnen wurde das Mittel bei routinemäßigen Darm- und Magenspiegelungen verabreicht.

Schon eine Woche vorher zeigten ihnen die Forscher zwei kurze Bildergeschichten, die unangenehme Gefühle auslösen sollten. Vor der Sedierung mittels Propofol wurden gezielt die Erinnerung an eine der beiden Geschichten geweckt. Wie gut sie sich an beide erinnern konnten, wurde bei der Hälfte der Teilnehmer unmittelbar nach der Betäubung, bei der anderen Hälfte erst 24 Stunden später getestet.

Konsolidierte Erinnerung

Direkt nach dem Erwachen konnten sich die Testpersonen gleich gut an beide Erzählungen erinnern. 24 Stunden später war die Erinnerung an die vor der Betäubung aktivierte Geschichte verblasst, besonders ihre unangenehmen Teile schienen die Teilnehmer vergessen zu haben. An die zweite - nicht reaktivierte Erzählung - konnten sie sich besser erinnern.

Das stützt laut den Autoren die These, wonach die Narkose verhindert, dass sich reaktivierte Erinnerungen wieder verfestigen. Der Prozess der Neukonsolidierung brauche Zeit, deswegen sei die löschende Wirkung der Narkose erst 24 Stunden später nachweisbar. Vermutlich sind während der Betäubung entscheidende Gehirnregionen deaktiviert – das unterbinde die Kopplung von Gefühlen und Erinnerung. Das zeige auch, wie wesentlich Emotionen für die Erinnerung sind. Ob man mit der Methode auch positiv besetzte oder neutrale Erinnerungen abschwächen könnte, wurde nicht untersucht.

Wie die Forscher betonen, zeigen die Experimente nur, dass es prinzipiell möglich wäre, schlimme Erinnerungen mittels Betäubung zu löschen bzw. abzuschwächen. Ob und wie das in der klinischen Praxis funktionieren kann, muss erst getestet werden.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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