Wie Alkohol zur Volksdroge wurde

Alkohol ist die Volksdroge Nummer eins in Österreich. Ein Blick in die Kulturgeschichte zeigt: Trinken ist schon lange beliebt – und wurde noch im 19. Jahrhundert gezielt gefördert. Heute kämpft der Staat mit Aufklärung gegen gesundheitliche Folgen und Sucht.

Im Mittelalter trank vor allem der Adel und die wohlhabende Bürgerschicht Alkohol. Vor allem in den Klöstern frönte man dem Wein- und Biergenuss, aber auch die städtische Oberschicht trank im Vergleich zu heute viel Alkohol, erklärt Regina Thumser-Wöhs, Zeithistorikerin an der Johann Kepler Universität Linz. Damals ging es gar nicht in erster Linie um den Rausch: In der Stadt war das Wasser oft bakteriell verunreinigt, Alkohol dagegen tötete Bakterien ab und galt deshalb als gesunde Alternative zum Wasser.

Branntwein im Bergbau

Ab 1730 lässt sich zeithistorisch nachweisen, dass der Alkoholkonsum in der österreichischen Bevölkerung von Jahr zu Jahr steigt. Doch erst im 19. Jahrhundert, zur Zeit der Industrialisierung, verlagerte sich der Konsum von alkoholischen Getränken auch zu den einfachen Leuten, vor allem zu den Arbeitern. Denn alkoholisiert ließ sich die schwere Arbeit leichter ertragen. „Man hat den Arbeitern auch ganz bewusst Branntwein gegeben, zum Beispiel in den Bergwerken, wo man gemerkt hat, das Brot reicht nicht aus, man braucht auch einen gewissen Zustand, um die Arbeit bewältigen zu können“ erklärt Regina Thumser-Wöhs.

Veranstaltungshinweis:

370.000 Menschen gelten in Österreich als alkoholkrank. Die ARGE Suchtvorbeugung hat deshalb diese Woche zur Dialogwoche Alkohol ausgerufen, mit Vorträgen, Seminaren und Workshops zum Thema in ganz Österreich.

In einem anderen, ihr bekannten Fall in Tirol hat man den Landarbeiter statt Milchsuppe eine Branntweinsuppe mit Zucker zum Frühstück gegeben. In den Weingegenden wiederum haben manche Dienstboten bis zu zwei Liter Wein täglich getrunken, allerdings eine schlechtere Qualität, aus der dritten Pressung. All das lässt sich aus zeithistorischen Quellen rekonstruieren, so Thumser-Wöhs.

Erste Entzugskliniken

Doch gerade bei den Arbeitern zeigte sich bald auch das enorme Suchtpotential von Alkohol, etwa wenn der Lohn nicht mehr nach Hause gebracht, sondern in den Kneipen ausgegeben wurde. Die ersten Entzugskliniken gab es Mitte des 19. Jahrhunderts, auch Abstinenzbewegungen formierten sich. Ein solcher Verfechter der Abstinenz und des Entzugs von alkoholkranken Menschen war später beispielsweise auch der Mediziner und Wiener Stadtrat Julius Tandler in der Ersten Republik.

Die Rolle des Staates war schon immer zwiespältig, wenn es um Alkohol ging: Einerseits profitierte er von den Steuern für alkoholische Getränke, andererseits versuchte er aber auch, den Alkoholkonsum einzuschränken. Wenn nötig, mit Gesetzen. So konnten die Bürger beispielsweise ihr Wahlrecht verlieren, wenn sie alkoholkrank waren, oder gar am Wahltag betrunken im Wahllokal auftauchte. „1916 hat Kaiser Franz Josef eine Notverordnung geschaffen, die alkoholkranke Leute teilentmündigt hat“, erzählt Regina Thumser-Wöhs.

Totale Ausgrenzung

Schon vor dem Nationalsozialismus grenzte man alkoholkranke Menschen immer mehr aus und stempelte sie als „Menschen zweiter Klasse“ ab. Unter den Nationalsozialisten galten alkoholkranke Menschen als unwertes Leben und wurden, wenn sie nicht mehr arbeitsfähig waren, mitunter auch in Konzentrationslagern ermordet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der Alkoholkonsum mit dem zunehmenden Wohlstand immer weiter an. Statt mit strengem Paternalismus versuchte es der Staat in den vergangenen Jahrzehnten mit mehr Aufklärung über die gesundheitlichen Folgen von Alkohol und zum hohen Suchtpotential. Nicht ganz erfolgreich, wie eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahr2017 zeigte: Dort belegte Österreich beim Alkoholkonsum pro Platz 35 von 194 Ländern.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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