Vom Labor ins Leben: Fühlende Prothese marktreif

Vor vier Jahren haben heimische Forscher eine Beinprothese entwickelt, die fühlen kann. Wer sie trägt, spürt den Boden, das verbessert Bewegungsabläufe und verringert Phantomschmerzen. Nun steht die Prothese vor der Markteinführung.

Entwickelt wurde sie von plastischen Chirurgen in Innsbruck und Südtirol sowie dem Techniker Hubert Egger, der 2007 die ersten “gedankengesteuerten“ Armprothesen vorgestellt hat. Dafür werden Nerven chirurgisch an die Brust verlegt, welche die Armprothese ansteuern sollen. "Patienten berichteten, dass sie ein ‚Gefühl‘ von der Hand an der Brustoberfläche spürten“, so Egger bei einer Pressekonferenz am Montag in Wien.

Der Patient Dietmar Schmee

Saphenus Medical Technoloy

Der Patient Dietmar Schmee mit dem Prothesensystem

Schuh-Sensoren leiten Vibrationsreize weiter

Seit einiger Zeit ist bekannt, dass Bewegung vermittelnde Nervenstränge (motorische Nerven) immer auch sensorische, also Oberflächenreize vermittelnde, Anteile besitzen. Außerdem können sich Nervenleitungen plastisch umorientieren.

Daraus entstand das System für die neue Beinprothese „Soralis“: Ein Sensor-Schuh trägt an seiner Sohle vier Sensoren an Ferse, Außen- und Innenrist sowie an der Fußspitze. Er wird über den Prothesenfuß gestülpt. In einem Schaft, welcher die mechanische Prothese umfasst, nimmt ein Bluetooth-Sender beim Gehen die Abrollreize des Fußes auf. Sie werden an vier Aktivatoren im Prothesenschaft gesendet. Die vier Aktivatoren produzieren Vibrationen je nach ihrem zugeordneten Fußsohlen-Sensor.

Am natürlichen Beinstumpf müssen für die Aufnahme der Vibrationsreize via plastische Chirurgie vier dafür geeignete Aufnahmestellen durch umgeleitete oder verpflanzte Nerven geschaffen werden. „Die Indikation für die Operation wird bei Neuronenschmerzen (Phantomschmerzen; Anm.) gestellt, die mit den konventionellen Methoden nicht beherrschbar sind“, sagte Alexander Gardetto, plastischer Chirurg von der Südtiroler Klinik Brixsana. Bereits nach einigen Tagen kann der Patient oder die Patientin mit einem Trainingsgerät beginnen, die verpflanzten oder umgeleiteten Nerven auf die zukünftige Funktion zu trainieren.

Hubert Egger mit der Prothese

APA - Hans Punz

Hubert Egger mit der Prothese

Patient: „Viel mehr Lebensfreude“

Bisher wurden laut Egger rund 15 Patienten im Rahmen von ersten Studien versorgt. Gemeinsam mit der AUVA soll das weitere Vorgehen wissenschaftliche begleitet werden. Das System wird rund 8.000 bis 10.000 Euro kosten und ist laut den Entwicklern mit jeder herkömmlichen Beinprothese kombinierbar.

Für den Patienten Dietmar Schmee mit vor vielen Jahren nach einem Motorradunfall erfolgter Beinamputation oberhalb des Knies bedeutet das System eine deutliche Besserung seiner Probleme. Er sagte: „Es ist von der Schmerzseite immer brutaler geworden. Man ist morphinabhängig und hat Stabilisationsprobleme.“ Das neue System habe ihm viel mehr Lebensfreude gebracht. Von den stärksten Opioid-Schmerzmitteln sei er mittlerweile „weg“.

Entwickelt wurden Sensor-Schuh und System vom österreichischen Medizintechnik-Unternehmen „Saphenus Medical Technoloy“, an dessen Gründung 2016 auch die Skisprung-Legende Toni Innauer beteiligt war.

science.ORF.at/APA

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