Ein Tag Arbeit reicht

Menschen arbeiten nicht nur, um Geld zu verdienen. Wer arbeitet, ist meist auch gesünder und zufriedener als Arbeitslose. Dafür reicht aber schon ein einziger Tag in der Woche, wie eine Auswertung von britischen Langzeitdaten nun zeigt.

Zu wenig Arbeit ist genauso schlecht wie zu viel davon, darüber sind sich Experten weitgehend einig. Was Arbeitslosigkeit anrichten kann, weiß man spätestens seit den 1930er Jahren. In „Die Arbeitslosen von Marienthal“ wurden die Auswirkungen erstmals systematisch untersucht. Die Arbeit gilt mittlerweile als Klassiker der empirischen Sozialwissenschaft.

Seitdem haben zahlreiche Studien bestätigt, dass ein Leben ohne geregelte Beschäftigung – vor allem wenn der Zustand lange andauert – negative Folgen hat, körperliche wie psychische. Selbstwert und Zufriedenheit schwinden. Man fühlt sich sozial ausgeschlossen. Nicht selten tauchen Ängste, Schlafstörungen oder Depressionen auf. Arbeitslose Menschen leiden häufig unter Übergewicht, Bluthochdruck und Erschöpfung. Verstärkt werden die Auswirkungen häufig durch einen ungesunden Lebensstil, den Betroffene angesichts der Aussichtslosigkeit oft pflegen.

Wo liegt das Optimum?

Aber auch zu viel Arbeit bleibt nicht ohne Folgen, wie ein Team um Daiga Kamerade von der University of Cambridge in ihrer aktuellen Studie zu Arbeitszeit betont. Überarbeitung kann zu Erschöpfung, Burnout, Stress und Depressionen führen sowie generell die körperliche Gesundheit und das Wohlbefinden beeinträchtigen. Als zu viel gelten laut den europäischen Richtlinien mehr als 48 Stunden pro Woche.

Irgendwo dazwischen – zwischen Arbeitslosigkeit und 50-Stunden-Woche – sollte die ideale Arbeitszeit liegen. Wo genau, wurde bisher aber nicht wirklich konkret untersucht. Maximal gibt es Selbsteinschätzungen – das sei aber problematisch, so die Studienautoren: Nicht alle Menschen wissen, was ihnen guttut und für Arbeitgeber - die ja in der Regel über Arbeitszeiten entscheiden - wäre es besser, objektive Daten zu haben. Daher haben sie versucht, diese Lücke nun empirisch zu schließen. Einerseits ging es ihnen darum, die optimale Arbeitsdosis zu ermitteln, bei der Menschen am gesündesten sind und sie sich wirklich wohl fühlen. Außerdem wurde nach der minimalen Dosis gesucht, ab der arbeitslose Personen gegenüber arbeitenden nicht mehr benachteiligt sind.

Als Basis verwendeten die Forscherinnen und Forscher Daten von mehr als 71.000 Personen aus der UK Household Longitudinal Study, die größte soziologische Langzeitstudie der Welt. Die mentale Gesundheit wird dort unter anderem mit dem General Health Questionnaire-12 (GHQ-12) erfasst, und zwar auf einer Skala von 0 bis 36. Außerdem wird eine Skala für die allgemeine Lebenszufriedenheit verwendet. Diese Skalen haben die Forscher mit der Anzahl der bezahlten Arbeitsstunden korreliert. Einflussfaktoren wurden rausgerechnet bzw. berücksichtigt, z.B. um welchen Job es sich genau handelt (Lohn, dauerhafte Anstellung, Zufriedenheit, etc.).

“Effektive Dosis“ gering

Die Auswertung ergab: Schon wenige Arbeitsstunden (eine bis acht) reichen für eine deutlich Verbesserung der allgemeinen psychischen Gesundheit. Im Schnitt kam es zu einer Steigerung von etwa 30 Prozent, was ungefähr einem 10-Punkte-Sprung auf der GHQ-12-Skala entspricht. Bei der Lebenszufriedenheit war das Ergebnis ähnlich, zumindest bei den Männern. Bei den Frauen steigt die Zufriedenheit erst bei etwa 20 Arbeitsstunden um denselben Wert.

Längere Arbeitszeiten führten jedoch zu keinen weiteren signifikanten Steigerungen, nur über 40 Stunden baut das allgemeine Befinden wieder ab. Laut den Forschern scheint die „effektivste Dosis“ ungefähr ein Arbeitstag zu sein, darüber hinaus tut sich nicht mehr viel – entscheidend dürfte der Wechsel von der Arbeitslosigkeit zur Beschäftigung sein. Der Job an sich bzw. die Entlohnung hatte laut den Forschern kaum einen Einfluss auf die Ergebnisse, nur die Zufriedenheit mit dem Job spielte eine gewisse Rolle.

Arbeitszeit umverteilen

D.h. auch, dass es kein wirkliches Optimum bei der Arbeitszeit zu geben scheint. „Die Grundlage unserer 40-Stunden-Woche war niemals die, wie viel Arbeit gut ist für die Leute. Unsere Studie zeigt, dass Microjobs denselben psychologischen Nutzen haben können wie Vollzeitbeschäftigungen“, erklärt Koautor Senhu Wang in einer Aussendung; dabei sei natürlich auch die Qualität der Arbeit entscheidend. Unsichere Jobs und unmenschliche Arbeitsbedingungen können und werden das Wohlbefinden niemals steigern, so Wang.

Die Ergebnisse hätten auch Implikationen für die Zukunft der Arbeit. Automatisierung und Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz könnten die Arbeitslosenzahlen weiter in die Höhe treiben. Ein allgemeines Grundeinkommen soll die Folgen nach Ansicht mancher Experten abfedern.

Laut den Studienautoren wird das womöglich nicht reichen, denn offensichtlich braucht jeder eine Art von bezahlter Beschäftigung, auch wenn sie klein ist. Sie schlagen daher eine radikale Lösung vor: Arbeitszeiten sollten großflächig umverteilt werden, sodass jeder zumindest einen Teil seiner Zeit damit füllen kann. Langfristig könnte eine Vier-Tage-Woche Standard oder Urlaubszeiten ausgeweitet werden. Die Umverteilung hätte noch andere positive Nebenwirkungen, schreiben die Forscher: Unter anderem würde die Produktivität steigen und sich die Work-Life-Balance verbessern. Natürlich sollte man bei dieser Neuorganisation auch auf soziale Gerechtigkeit achten.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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