Der Olymp der Forschung

„Nature“ ist eine der wichtigsten Wissenschaftszeitschriften der Welt. Hier zu publizieren, bringt Wissenschaftlern Renommee und mediale Aufmerksamkeit. Heute feiert das britische Journal sein 150-jähriges Bestehen.

Am 4. November 1869 erschien die erste Ausgabe von „Nature“. Damals wollte die Redaktion Wissenschaftler und Öffentlichkeit in Großbritannien über den wissenschaftlichen Fortschritt informieren. Heute ist „Nature“ die meistzitierte mulitidisziplinäre Zeitschrift der Welt.

Welche Pläne die Redaktion in den nächsten Jahren hat und wie „Nature“ seine führende Rolle als Wissenschaftszeitschrift ausbauen möchte, erklären die Chefredakteurin Magdalena Skipper und die redaktionelle Geschäftsführerin Ritu Dhand im Interview mit science.ORF.at.

science.ORF.at: „Nature“ hat großen Einfluss in der Welt der Wissenschaft. Forschende weltweit wollen in diesem Journal publizieren. Gibt es dafür aus Ihrer Sicht noch andere Gründe als das Prestige der Zeitschrift auf dem Publikationsmarkt?

Magdalena Skipper: Davon bin ich überzeugt. Das liegt einerseits an den Diensten, die wir leisten. Dazu gehört das redaktionelle Urteil, die Fähigkeit, die richtigen Experten für den Peer-Review-Prozess - also die Beurteilung der Arbeiten auszuwählen. Der Zweck des Peer-review-Systems ist es ja, die wissenschaftlichen Behauptungen einer Publikation zu stärken für die nachfolgende Veröffentlichung. Und andererseits hoffen wir, den Autorinnen und Autoren auch eine Plattform zu bieten, die den gewünschten Kontext für ihre Publikationen liefert, etwa über den „News and Views“-Bereich, also unsere wissenschaftsjournalistischen Angebote. Hier werden Forschungsergebnisse eben in einem breiteren Kontext aufgearbeitet und diskutiert - und sind so auch einem breiteren Publikum zugänglich.

Ö1-Sendungshinweis:

Die Dimensionen widmen dem 150. Geburtstag von „Nature“ zwei Sendungen: Wissenschaft für alle, ein Besuch in der Londoner Redaktion, am 4.11. um 19.05 Uhr, und Fakten, die begeistern, ein Gespräch mit der „Nature“-Chefredakteurin, am 5.11. um 19.05 Uhr in Ö1.

„Nature“ besteht zur einen Hälfte aus wissenschaftlichen Studien, die andere Hälfte enthält die, gerade von Ihnen angesprochenen journalistischen Inhalte. Hier geht es oft auch um eine politische Auseinandersetzung aus wissenschaftlicher Sicht. Welche Themen beschäftigen Sie in diesem Zusammenhang derzeit?

Magdalena Skipper: Dazu gehören die Klimakrise oder ethische Rahmenbedingen genetischer Forschung. Der Brexit ist natürlich auch hoch aktuell. Denn unsere Hauptredaktion ist hier in London. Wir haben aber kleinere Büros überall auf der Welt, wir sind eine internationale Publikation. Und die Wissenschaft an sich ist eine internationale Unternehmung. Wir haben über die Jahre beobachtet, wie sehr Wissenschaft und Forschung profitieren, wenn es keine künstlichen Beschränkungen im Austausch von Ideen gibt, in der Kommunikation zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Jegliche Behinderung, sei es beim Reisen oder bei längeren Auslandsaufenthalten, erzeugt zwangsläufig Probleme beim Informationsaustausch und für die darauffolgenden wissenschaftlichen Ergebnisse.

Stapel von "Nature"-Zeitschriften

ORF

Das Peer-Review-System ist in den vergangenen Jahren oft kritisiert worden, etwa weil es zu sei intransparent sei. Hat solche Kritik Folgen für die redaktionelle Arbeit von „Nature“?

Ritu Dhand: Peer-Review ist ein Eckpfeiler unserer Arbeit. Aber es macht mich stolz, sagen zu können, dass wir bei „Nature“ nicht stillstehen. Wir sind vielleicht 150 Jahre alt, aber wir entwickeln uns immer weiter.

Inwiefern konnten Sie dieses System weiterentwickeln?

Ritu Dhand: Wir können unseren Autorinnen und Autoren Angebote machen. Wenn ein jemand das Gefühl hat, unsere Begutachter seien voreingenommen, es gäbe da einen Interessenskonflikt, von dem wir nichts wüssten, dann versuchen wir, neutrale Begutachter zu finden. Denn wir nehmen die Befürchtungen unserer Autoren sehr ernst. Und darüber hinaus bieten wir eine Doppel-Blind-Begutachtung an, wo die Arbeiten anonymisiert werden. Und nachdem es darum geht, die Wissenschaft zu beurteilen, sollte das keinen großen Unterschied machen. Umgekehrt bieten wir den Begutachtern, namentlich auf den veröffentlichen Arbeiten genannt zu werden und ihre Beurteilungen zu veröffentlichen. Mehr als die Hälfte der Begutachter hat das bereits getan. Aus unserer Sicht ist das fantastisch. Erstens können wir ihnen so Anerkennung zollen für ihren Beitrag. Und zweitens macht das den ganzen Prozess transparenter, wer in die Begutachtung eingebunden ist.

Ihr Verlag, Springer-Nature, hat vor Kurzem einen großen Open-Access-Vertrag mit österreichischen Forschungseinrichtungen abgeschlossen. Mit einer Ausnahme: „Nature“ wird es weiterhin nur im Abonnement geben. Kommt Open-Access für Sie nicht in Frage?

Magdalena Skipper: Open-Access ist Teil einer größeren Diskussion über offene Wissenschaft oder offene Forschung. Hier geht es um die Daten, die Wissenschaftler produzieren und ob andere Zugang dazu haben, sie teilen können. Es geht um die Computerprogrammierung, die verwendet wurde, um die Daten zu analysieren – haben andere Zugang dazu? Es geht um Methoden und Protokolle – liegen die vor? Das alles ist wichtig, weil wir nur durch das Teilen dieser Informationen den wissenschaftlichen Fortschritt beschleunigen können. Wir hier bei „Nature“ fordern die Forschungsgemeinschaft dazu auf, mehr zu teilen, noch transparenter zu veröffentlichen. Und in einigen Forschungsfeldern ist diese Transparenz bereits Voraussetzung. So können wir als Fachzeitschritt zur Beschleunigung des wissenschaftlichen Fortschrittes beitragen.

Es geht hier aber auch um Kosten. Wenn eine wissenschaftliche Institution ein „Nature“-Abonnement abschließt, ist das mit hohen Kosten verbunden, die in Ländern wie Österreich letztlich die Öffentlichkeit trägt. Ist das vertretbar?

Magdalena Skipper: Ein Großteil der Forschung wird von der Öffentlichkeit finanziert. Und ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Arbeit ist es, die so gewonnenen Erkenntnisse zu kommunizieren und zu verbreiten. Jetzt könnte man sagen, es gibt ja das Internet, lasst uns einfach alles online stellen. Aber die Genauigkeit und die Auswahl im Umgang mit Studien bekommt man nur über den redaktionellen Prozess, den wissenschaftliche Fachzeitschriften pflegen. Und ich möchte behaupten, dass dieser Prozess hier bei „Nature“ besonders sorgfältig und gewissenhaft ist, so dass die Autoren einen entsprechenden Nutzen spüren.

Redaktionsräume von "Nature" in London

ORF/Nowotny

Redaktionsräume von „Nature“ in London

„Nature“ hat in der Wissenschaftswelt großen Einfluss: Hier zu publizieren kann entscheidend sein bei der Ausschreibung von Posten, bei Förderanträgen. Wie gehen Sie mit diesem Einfluss um?

Ritu Dhand: Wir haben keinen Einfluss darauf, was erforscht wird, das entscheiden die Förderinstitutionen und Universitäten. Wir veröffentlichen nur die Ergebnisse. Was nach der Veröffentlichung passiert, liegt nicht in unserem Einflussbereich. Und wir finden es auch nicht gut, welche Rolle der Ort einer Publikation im Wissenschaftsbetriebt spielt. Die Bewertungsprozesse müssen sich verändern und ich sehe hier auch bereits Veränderungen.

In den vergangenen 150 Jahren hat sich nicht nur der Wissenschaftsbetrieb verändert. Inhalte online zu verbreiten ist heute sehr wichtig. Wie lange wird es „Nature“ noch als gedruckte Wochenzeitschrift geben?

Magdalena Skipper: Auch wir spüren einen Zeitdruck bei der Veröffentlichung von Wissenschaftsneuigkeiten, also veröffentlichen wir nicht nur wöchentlich, sondern kontinuierlich online. Für die Neuigkeiten, die wir bringen, ist das ein absolutes Muss. Aber das gedruckte Magazin hat interessanter Weise eine Qualität, die wir wiederum online nicht replizieren können. Und das ist dieser Zufallsmoment, zu dem es kommt, wenn man ein Heft durchblättert: Auf einer bestimmten Seite wird über etwas geschrieben, von dem man nicht einmal wusste, dass es existiert. Es weckt plötzlich unser Interesse, wir beginnen zu lesen und finden so etwas ganz Neues heraus. Das kann man online nicht nachahmen.

„Nature“ ist heute das erfolgreichste multidisziplinäre Wissenschaftsmagazin auf dem Markt. Wie wird es weitergehen?

Magdalena Skipper: Ich habe keine Kristallkugel und kann natürlich nicht sagen, wo „Nature“ in zehn Jahren oder 20 Jahren genau sein wird. Was ich sagen kann, ist, dass wir weiterhin sehr eng mit der Wissenschaftscommunity zusammenarbeiten werden, um sie einerseits zu unterstützen und andererseits auch voranzugehen, wenn es um Veränderungen geht. Es zeichnen sich bereits viele Veränderungen ab. Die Forschung wird zusehend interdisziplinär. Wir müssen also überdenken, wie wir Arbeiten begutachten und bewerten. Wir müssen über neue Inhalte nachdenken und neue Formate, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse veröffentlich werden. Aber ich kann mit einhundertprozentiger Sicherheit sagen, dass es sehr aufregend wird.

Interview: Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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