Affe auf zwei Beinen: Sensationsfund in Bayern

Vor fast zwölf Millionen Jahren war in der Region des heutigen Allgäu ein Menschenaffe schon auf zwei Beinen unterwegs. Das schließen Forscher aus neuen Knochenfunden – und werfen damit die Evolutionstheorie des aufrechten Ganges über den Haufen.

Madelaine Böhme von der Universität Tübingen spricht von einer „Sternstunde“ und von einem „Paradigmenwechsel". Überraschend ist der Fund, der Böhme und ihrem Team gelungen ist, allemal. Denn bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass sich der aufrechte Gang in Afrika entwickelt hat. Nun sieht es so aus, als müsste dieses entscheidende Kapitel der Evolution nach Europa verlegt werden – eine Erkenntnis, die laut Böhme „die Grundfeste der Paläoanthropologie erschüttert“.

Fossilien aus der Tongrube "Hammerschmiede" im Unterallgäu

Christoph Jäckle

Die Fundstücke aus einer Tongrube in Bayern

Das Team hatte zwischen 2015 und 2018 in einem Bachlauf der Tongrube „Hammerschmiede“ im Allgäu die Fossilien einer bisher unbekannten Primatenart entdeckt. Die Analyse der versteinerten Knochen ist heute im Fachblatt „Nature“ erschienen.

Wie die Forscher in ihrer Studie schreiben, habe der Danuvius guggenmosi vor 11,62 Millionen Jahren gelebt und sich wahrscheinlich sowohl auf zwei Beinen als auch kletternd fortbewegt. „Bisher war der aufrechte Gang ein ausschließliches Merkmal von Menschen. Aber Danuvius war ein Menschenaffe“, sagt Böhme. Die bisher ältesten Belege für den aufrechten Gang sind rund sechs Millionen Jahre alt und stammen von der Insel Kreta sowie aus Kenia.

Affenarme und Menschenbeine

Aus der Tongrube bargen die Paläontologen vollständig erhaltene Arm- und Beinknochen, Wirbel, Finger- und Zehenknochen - insgesamt 15 Prozent eines Skeletts. Damit ließ sich rekonstruieren, wie sich Danuvius fortbewegte: „Zum ersten Mal konnten wir mehrere funktionell wichtige Gelenke ‒ darunter Ellbogen, Hüfte, Knie und Sprunggelenk ‒ in einem einzigen fossilen Skelett dieses Alters untersuchen“, erklärt die Professorin. „Zu unserem Erstaunen ähnelten einige Knochen mehr dem Menschen als dem Menschenaffen.“

So habe Danuvius seinen Rumpf durch eine S-förmige Wirbelsäule aufrecht halten können, während Menschenaffen lediglich eine einfach gebogene Wirbelsäule besitzen. Nach Böhmes Angaben hatte Danuvius außerdem X-Beine und ein stabiles Fußgelenk - für Menschenaffen, die sich kletternd fortbewegen, wäre beides ungeschickt. Mit seinen verhältnismäßig langen Armen und seinen Greiffüßen hatte Danuvius aber entscheidende Merkmale von Baumbewohnern und zählt nach Böhmes Einschätzung deshalb zu den Menschenaffen.

Laboraufnahme: Fossilien aus der Tongrube "Hammerschmiede" im Unterallgäu

Christoph Jäckle

Danuvius guggenmosi: Puzzlestücke der Evolution

„Danuvius kombinierte die von den hinteren Gliedmaßen dominierte Zweibeinigkeit mit dem von den vorderen Gliedmaßen dominierten Klettern“, sagt Mitautor David Begun von der University of Toronto. Nach Einschätzung der Forscher war der „neue Vorfahr des Menschen“ etwa einen Meter groß. Die Weibchen, von denen ebenfalls Teile eines Exemplars in der Tongrube gefunden wurden, dürften etwa 18 Kilogramm gewogen haben, das gefundene Männchen 31 Kilogramm.

Weitere Funde möglich

Für Tracy Kivell, Professorin an der University of Kent, beantwortet der Fund vor allem einige noch offene Fragen: Zusammengenommen böten die Funde das bisher beste Modell, um zu zeigen, wie ein gemeinsamer Vorfahr von Mensch und afrikanischen Menschenaffen ausgesehen haben könnte, schreibt Kivell in einem Begleitartikel zur Studie.

Böhme zufolge ernährte sich Danuvis eher von härteren Pflanzenteilen als von weichen Blättern. In der Gegend um das heutige Kaufbeuren gab es Auenwälder und viele Niederschläge, mit etwa 20 Grad war die durchschnittliche Jahrestemperatur wärmer als heute.

Nach Einschätzung Böhmes dürften weitere Funde die neuen Erkenntnisse stützen. Von einem Weibchen wurden bereits Zähne, ein Finger und ein kompletter Oberschenkel ausgegraben. Auch von einem jungen Exemplar liegen gut erhaltene Reste vor. Außerdem erwartet die Tübinger Paläontologin weitere erfolgreiche Ausgrabungen in dem Bachbett der Tongrube. „Das muss man sich vorstellen wie ein Puzzle, in das immer mehr Teile eingefügt werden.“

science.ORF.at/dpa

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